Eckart Witzigmann: „Zukunft braucht Herkunft“

Der CHEFDAYS-Keynote-Speaker, darüber, dass die Zukunft kein scheues Reh mehr ist und was die Rocklänge mit Stil-Nostalgie zu tun hat.
Juni 9, 2016 | Fotos: Monika Reiter

CHEFDAYS-Keynote-Speaker Eckart Witzigmann im Interview mit ROLLING PIN

Von einem, der es wissen muss

CHEFDAYS stehe für Inspiration. Eckart Witzigmann ebenso. Das passt. Der Koch der Köche im Interview über die Zukunft, Rocklängen in der Gastronomie und fehlende Überraschungen für den Gast, der sich gerne wichtiger nimmt als er sollte.
Sie haben Kultstatus und viele Köche in ihrem Koch-Sein beeinflusst. Was meinen Sie, wovon lässt sich die aktuelle Generation inspirieren?
Eckart Witzigmann: Das lässt sich lückenlos und restlos bestimmt nicht genau sagen. Da befinden wir uns im Reich der gesicherten Ahnung. Sicher schauen Köche über die Grenzen, was dort passiert, und ein Koch mit einem Stern schielt etwas hinüber zu dem mit drei Sternen. Aber die viel diskutierte Zukunft ist nicht mehr das scheue Reh wie in der Vergangenheit, sondern ein vielfältiges, buntes und schrilles Wesen. Die selbst ernannten Trendsetter tun sich schwer, hier halbwegs gesicherte Ahnungen in die Welt zu setzen.
Und wenn man Sie jetzt fragen würde?

CHEFDAYS-Keynote-Speaker Eckart Witzigmann im Interview mit ROLLING PIN

Von einem, der es wissen muss

CHEFDAYS stehe für Inspiration. Eckart Witzigmann ebenso. Das passt. Der Koch der Köche im Interview über die Zukunft, Rocklängen in der Gastronomie und fehlende Überraschungen für den Gast, der sich gerne wichtiger nimmt als er sollte.
Sie haben Kultstatus und viele Köche in ihrem Koch-Sein beeinflusst. Was meinen Sie, wovon lässt sich die aktuelle Generation inspirieren?
Eckart Witzigmann: Das lässt sich lückenlos und restlos bestimmt nicht genau sagen. Da befinden wir uns im Reich der gesicherten Ahnung. Sicher schauen Köche über die Grenzen, was dort passiert, und ein Koch mit einem Stern schielt etwas hinüber zu dem mit drei Sternen. Aber die viel diskutierte Zukunft ist nicht mehr das scheue Reh wie in der Vergangenheit, sondern ein vielfältiges, buntes und schrilles Wesen. Die selbst ernannten Trendsetter tun sich schwer, hier halbwegs gesicherte Ahnungen in die Welt zu setzen.
Und wenn man Sie jetzt fragen würde?
Witzigmann: Den alles umfassenden allgemeinen Trend gibt es schon lange nicht mehr, wir sind im Zeitalter der totalen Diversifikation. Alles ist möglich! In London gibt es jetzt ein Restaurant für Nackte, das muss ich nicht haben, aber wer das braucht, soll hingehen. Wir müssen uns damit beschäftigen, dass alte Denkmuster und Lorbeeren in der digitalen Welt – und die macht auch vor der Küche nicht halt – keinen Bestand mehr haben. 
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass alte Werte oder die klassische Schule weniger wert sind?
Witzigmann: Die Lorbeeren von gestern sind heute nichts mehr wert, es wird täglich eine neue Sau durchs Dorf getrieben, die angeblich die schönste und attraktivste ist.
Das Durchpeitschen von neuen Konzepten wird auch von der Verbraucherseite verlangt, oder?
Witzigmann: Ich glaube, dass auch der Geschmack der Gäste mehr und mehr stilbildend wird. Vor 30 Jahren sind die Gäste in die großen Restaurants dieser Welt gepilgert und haben ehrfurchtsvoll gegessen, was ihnen da serviert wurde. Da war alles neu, fremd und spannend. Heute weiß ich schon bei der Reservierung, was auf den Tisch kommt, woher die Produkte stammen und was es kostet. Da gibt es keine Überraschungen mehr, außer der Koch hat einen schlechten Tag. Heute reichen einige Klicks im Internet und der kundige Interessent findet, was er braucht, die Gäste von heute sind umfassend kulinarisch gebildet. Und manchmal beschleicht mich der Eindruck, die Gäste glauben, mehr zu wissen als der Koch am Herd. 
Wird dadurch der Bock zum Gärtner?
Witzigmann: Dass Reisen bildet, hat Goethe schon festgestellt, und in einer globalisierten Welt bringen die Menschen auch vieles mit nach Hause, kochen es nach oder fragen im Restaurant danach. Zusammengefasst würde ich sagen: Stilbildend und beeinflussend ist heute ein ganzes Bündel an Ursachen. Nur neu zu sein, genügt heute nicht mehr.
Apropos Reisen: Durch die Gastköche im Hangar-7 sind Sie immer up to date, welche Küchen gerade Vorreiterstellung haben – erkennen Sie bei diesen eine Gemeinsamkeit?
Witzigmann: Kreativität und ein gutes Produkt sind nach wie vor die Eckpfeiler einer erfolgreichen und innovativen Küche. Ich stelle aber immer wieder auch fest, dass die Küche von heute noch nie so diversifiziert und abwechslungsreich war, im Vergleich mit den Jahrzehnten zuvor. Die großen Klassiker der französischen Hochküche feiern im Moment in New York eine Wiederauferstehung und in Skandinavien hat sich eine puristische Küche entwickelt, die die Nouvelle Cuisine spielend rechts überholt. 

Frankreich, Skandinavien, Peru … Warum haben die österreichische und die deutsche Küche international gesehen nicht die Relevanz, die sie haben könnten?
Witzigmann: Ein wesentlicher Grund ist sicher der, dass die Regierungen in Frankreich, Italien, Spanien oder auch in den skandinavischen Ländern mit erheblichen Mitteln die Trommeln für ihre Küchen und Köche im Ausland schlagen. Diese Länder sind stolz auf das, was da im eigenen Land passiert, und erzählen das gerne dem Rest der Welt. In Deutschland fehlt die Identifikation mit der Spitzenküche.
Liegt das daran, dass niemand der deutschen und österreichischen Küche als Leitfigur herhalten möchte oder kann?
Witzigmann: Jürgen Dollase hat das kürzlich auf eine einfache und schmerzhafte Formel gebracht: Wir werden regiert von Pommes-Buden-Besuchern. Von der politischen Elite fehlt seit den Tagen von Walter Scheel – für den ich einige Male ganz offiziell kochen durfte – ein klares Bekenntnis zur Spitzenküche. Man versteckt sich lieber hinter Currywurst, Linseneintopf und Wurstbrot, als sich mit der engagierten Küche zu identifizieren. Nichts gegen diese drei Flaggschiffe der deutschen Lieblingsgerichte, aber dabei wird leider übersehen, dass Deutschland und auch Österreich schon lange in der ersten Liga mitkochen. Und diese Haltung strahlt ins Ausland ab.
Was wir aber haben, das ist das Wirtshaus als mittelständischen Gastronomiebetrieb. Inwieweit bewegen wir uns heute da zwischen den Parametern Nostalgie – Moderne – Regionalität?
Witzigmann: In Österreich hat man diese Kultur in den letzten Jahrzehnten mehr gepflegt als anderswo, das ist zu einem Aushängeschild der österreichischen Gastronomie geworden. Ich würde die drei genannten Punkte nicht in einen Topf werfen, jeder Begriff steht für sich und hat seine Berechtigung: Die Nostalgie ist wie die Rocklänge, mal mehr, mal weniger. Wenn die aktuellen Zeiten nicht so behagen, dann geht der Blick gerne mal schnell zurück in die Vergangenheit. Vor allem, wenn die Moderne vielleicht nicht so behaglich und gemütlich ist. Dieser Kreislauf wiederholt sich immer wieder, ich glaube, die Moderne von heute ist die Nostalgie von morgen. Und die Regionalität spielt da sicher mit hinein. Wobei man bedenken muss, dass in Sachen Regionalität nicht alle die gleichen Chancen haben. Es gibt Landstriche, da kann man aus dem Vollen schöpfen. Und es gibt Gegenden, da wachsen die Bäume der guten Produkte nicht in den Himmel. Deshalb sollte man es mit der Regionalität auch nicht übertreiben. 
Jede Spitzenküche braucht eine eigene Identität und die bekomme ich nicht durch Kopien, die bekomme ich nur durch  eigene Ideen.
Eckart Witzigmann über das Phänomen der schnelllebigen Trends
Ist Regionalität die Gegenbewegung zur Globalisierung oder echtes Bewusstsein für Heimat?
Witzigmann: In einer globalisierten Welt, in der immer alles zu haben ist, wird es meiner Meinung nach auf Dauer nicht ausreichen, einzig und allein auf die Regionalität zu setzen. Nur weil ein Produkt aus der Region kommt, ist es nicht automatisch gut. Die Qualität muss auch stimmen und der Koch muss sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Da kann ich nicht immer den gleichen Stiefel kochen, da muss ich versuchen, kreativ zu sein. 
Um kreativ arbeiten zu können, muss ich die Basis kennen. Wie halten Sie es mit dem Spruch „Die Bewahrung von Tradition ist nicht das Anstarren der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“?
Witzigmann: Na ja, bei der Weitergabe des Feuers haben sich schon einige die Finger verbrannt. Es ist ein schwieriges Unterfangen, Traditionen in die Neuzeit zu transferieren. Jeder junge Koch hat den Wunsch, etwas gänzlich Neues, etwas, was noch nie da war, auf die Teller zu bringen. Ich habe gelernt, dass man dabei nicht zu übermütig sein sollte. Die Welt wurde auch nicht an einem Tag erschaffen und vieles beim Kochen ist häufig alter Wein im neuen Schlauch.
Man sollte sich also doch auch von dem Vergangenen inspirieren lassen?
Witzigmann: Jede Zukunft – vor allem in der Gastronomie – braucht Herkunft. Deshalb sollten wir uns bei aller Fortschrittsgläubigkeit und aller Neugier auf die Zukunft parallel auf unsere Wurzeln besinnen, denn diese haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind. In meiner Kochwelt habe ich mich immer an eine Devise gehalten: Zukunft braucht Herkunft. Und alle Fortschritte in der Kochwelt waren eigentlich nie laute Revolutionen, das waren immer sanfte Evolutionen. Ich bin der Meinung, das wird auch so bleiben.
www.eckart-witzigmann.de

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