Joachim Wissler: Der Seelenfänger

Visionär, Perfektionist, Provokateur, Workaholic. Dem deutschen Koch der Köche geht es um nichts weniger, als die Seele seiner Gerichte auf den Teller zu bringen.
Juli 22, 2016 | Text: Marion Wolf | Fotos: Monika Reiter, Grandhotel Schloss Bensberg

Joachim Wissler in weißer Kochjacke

Die Guten werden immer überleben

Ein bodenständiger Schwabe, wie Joachim Wissler einer ist, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Sollte man meinen. Man könnte auch annehmen, dass der Küchenchef nach 16 Jahren im Restaurant Vendôme im Grandhotel Schloss Bensberg und zehn Jahren durchgehend mit drei Sternen bewertet einen Schritt zurücktritt und seine perfekt eingespielte Mannschaft mehr in die Verantwortung nimmt. Mit jedem Recht könnte er das für sich beanspruchen.

Darauf angesprochen, ob „Essen bei Wissler“ auch bedeutet, dass der Sternekoch selbst noch am Pass steht, ist es mit der Gelassenheit des Meisters vorbei. „Ist das ein Witz? Wenn ich zehn Tage im Jahr, an denen wir geöffnet haben, nicht im Restaurant bin, dann ist es viel!“ Joachim Wissler setzt als harter Arbeiter seine Visionen von der Seele seiner Gerichte um, weil er weiß, wie hart das Geschäft in der Sternegastronomie sein kann. Aber gerade deshalb ist er auch überzeugt: „Die Guten werden immer überleben. Ganz einfach.

Die Guten werden immer überleben

Ein bodenständiger Schwabe, wie Joachim Wissler einer ist, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Sollte man meinen. Man könnte auch annehmen, dass der Küchenchef nach 16 Jahren im Restaurant Vendôme im Grandhotel Schloss Bensberg und zehn Jahren durchgehend mit drei Sternen bewertet einen Schritt zurücktritt und seine perfekt eingespielte Mannschaft mehr in die Verantwortung nimmt. Mit jedem Recht könnte er das für sich beanspruchen.

Darauf angesprochen, ob „Essen bei Wissler“ auch bedeutet, dass der Sternekoch selbst noch am Pass steht, ist es mit der Gelassenheit des Meisters vorbei. „Ist das ein Witz? Wenn ich zehn Tage im Jahr, an denen wir geöffnet haben, nicht im Restaurant bin, dann ist es viel!“ Joachim Wissler setzt als harter Arbeiter seine Visionen von der Seele seiner Gerichte um, weil er weiß, wie hart das Geschäft in der Sternegastronomie sein kann. Aber gerade deshalb ist er auch überzeugt: „Die Guten werden immer überleben. Ganz einfach.“

Joachim Wissler in weißer Kochjacke

Dennoch sei die Dichte an qualitativ hochwertigen Restaurants in Deutschland bei 80 Millionen Einwohnern sehr hoch, dass es da immer wieder Veränderung – eine Marktbereinigung, wie Wissler es nennt – gibt, sei ein natürlicher Prozess. „Die Köche, die der Welt etwas zu sagen haben, die wird es immer geben. Die Kunden lieben heute einen gewissen Erlebnisfaktor als Teil des Restaurantkonzepts. Und dass da ein Mensch drin steht, der ein Unikat ist und seine ganz eigene Handschrift hat“, lässt der Vendôme-Chef keinen Zweifel daran, welches Verständnis er von seiner Anwesenheit als Macher hat und wie wichtig diese für den konstanten Erfolg des 3-Sterne-Restaurants ist. Auf eine Auslastung von 80 bis 85 Prozent wird das Vendôme in diesem Jahr kommen, auch dank einem Anteil von 50 Prozent ausländischen Gästen. Zahlen, von denen andere nur träumen können.

Die Sternegastronomie wird sich verändern, indem sich der Markt selbst bereinigt. Die Guten werden aber immer überleben. Ganz einfach!
Joachim Wissler zur Zukunft der gehobenen Gastronomie

Erfolg als Teilabschnitt des Lebens

Dennoch steckt in Wissler so viel Realist, dass er weiß, „Erfolg ist immer ein Teilabschnitt des Lebens und spiegelt die Vorstellung dessen wider, was man erreichen will und was man erreicht hat“. Gerne vergleicht er Erfolg mit der Fahrt in einem Aufzug, der einen ganz nach oben bringt, aber auch wieder nach unten fährt. Gerade hat er eine kleine Abwärtsfahrt erlebt, wobei die fast nicht der Rede wert ist.

Fünf Plätze musste der Erfolgsverwöhnte in diesem Jahr auf der Liste der World’s 50 Best Restaurants abgeben. Zum neunten Mal in Folge ist das Vendôme gelistet, 2013 sogar auf Platz zehn, 2016 gab es erstmals die deutsche Spitzenposition ab. Die hat jetzt direkt vor Wissler mit Platz 35 Tim Raue eingenommen. „Ich kann damit sehr gut leben, ich bin ein sehr geerdeter Mensch und habe auch keine schlaflosen Nächte oder schlechte Laune deswegen“, gibt sich der 53-Jährige gelassen.

Kein Platz für Mittelmaß

Diese Erdung, aber auch eine gewisse Ausdauer, Belastbarkeit und ein Pflichtgefühl, daraus macht er keinen Hehl, haben Joachim Wissler seine Eltern mitgegeben. Bekanntlich wuchs er auf einem Bauernhof in der Schwäbischen Alb nahe Stuttgart auf, zu dem später auch ein Gutsausschank gehörte. Den sein Vater über die Jahrzehnte von einem rustikalen Wirtshaus zu einem sehr gutbürgerlichen Restaurant ausbaute. War sein Weg dadurch vorgezeichnet? Nein!

„Das Märchen, dass ich als Vierjähriger schon am Topf meiner Mutter gestanden bin, gerührt habe und gesagt habe: ‚Ich will und werde mal ein großer Koch.‘ Das will ich keinem aufbinden.“ Geprägt hat den heute besten Koch des Landes das Umfeld zweifelsohne – verbunden mit einem gewissen Talent. „Ich habe da gelernt, Dienstleistungen zu erbringen, aber ich habe nicht gelernt, wie man kocht“, sagt Wissler. „Wenn meine Freunde Fußball gespielt haben, musste ich Kartoffelsalat machen.

Was die große Kunst des Kochens ausmacht, erfährt er als Lehrling in der Traube Tonbach, dem Traditionshaus mit drei Sternen im Schwarzwald. Nach Lehr- und Wanderjahren in Hinterzarten, Baden-Baden und dem Rheingau übernimmt Joachim Wissler mit 28 Jahren die Leitung im Schloss Reinhartshausen in Erbach und wusste schon zu diesem Zeitpunkt, „dass es nicht das Mittelmaß ist, was ich anstrebe“.

Fünf Jahre dauert es, bis der junge Küchenchef wahrgenommen wird. Ohne die Referenz und den Rückhalt eines großen Küchenmeisters hinter sich zu haben, entwickelt Wissler seine eigene Linie. Doch die Durststrecke zahlt sich aus. Drei Jahre nach seinem Antritt im Schloss Reinhartshausen wird er als Aufsteiger des Jahres ausgezeichnet und erhält 1995 seinen ersten Michelin-Stern, dem im darauffolgenden Jahr der zweite folgt. Damit ist er seinem Ziel, Großes zu erreichen, bereits sehr nahe. In die Elite der deutschen Köche steigt Wissler als Küchenchef des Restaurants Vendôme auf, in das ihn Hotelier Thomas Althoff im Jahr 2000 holt. The rest is history ..

Restaurant Vendôme mit seinem stilvollen Interieur

Erinnerung als Glücksfall

Die Geschichte und das Leben, die ein jeder in sich trägt, sind es, die einen Menschen ausmachen. Man könnte auch sagen: Alles ist Erinnerung. Auch geschmackliche. Assoziationen, die für viele Spitzenköche wie auch Joachim Wissler der Schlüssel sind, um mit ihren Gerichten bis tief ins Unterbewusstsein ihrer Gäste vorzudringen. „Wenn man irgendwo etwas probiert, dann kommt im besten Falle der Vergleich, ob man das schon kennt. Und durch dieses Unterbewusstsein, in dem man mit allen Sinnen Geschmäcke einordnet, kann man irgendwann mal sagen: Das schmeckt so wie damals bei meiner Mutter der Schweinebraten oder riecht so wie früher die Dampfnudeln.“

Deshalb ist es für den Sternekoch selbst jedes Mal ein Glücksfall, wenn er durch eine Erinnerung zu einem neuen Gericht inspiriert wird – wie durch seinen ersten Kinobesuch, den er präzise und voll schöner Bilder beschreibt: „Wenn man sagt Kinovergnügen. Was bedeutet das? Popcorn, leicht karamellisierter Zucker, Coca-Cola, Eiskonfekt. Das war einfach großartig. Wenn ich an danach denke: Der Film? Hab ich vergessen. Aber das werde ich nie vergessen.“ Mit dem Gericht ‚Großes Kinovergnügen‘ geht es Wissler genau darum: Geschichten und Emotionen in einem Dessert widerzuspiegeln, die viele nachvollziehen können.

Die Präsentation ist provokant – „serviert mit einem Augenzwinkern“ nennt er solche Gerichte. Man stelle sich das Restaurant Vendôme mit seinem edlen Ambiente vor: Der Kellner kommt mit einem Tablett mit einer Popcorntüte herein, die ganz kurz vorher abgefüllt wurde, und stellt sie vor den Gast.

„Allein der Geruch dieses karamellisierten Popcorns und dieser warme Duft von dem gerösteten Mais führen einen automatisch, ob man will oder nicht, ins Kino. Man kann mit diesen Dingen einen Gast sehr gut auf ein Geschmacks­profil führen, ohne dass ich das anstrengend und strapazierend mache“, beschreibt der Küchenvirtuose neben all dem Drang zur Perfektion den Stellenwert von Unbeschwertheit und Spaß beim Restaurantbesuch, der für ihn dennoch einer Gratwanderung gleicht.

„Das sind natürlich Dinge, wo man sich immer sehr anspruchsvoll auf einem dünnen Pfad befindet, damit so was nicht nur Spaß wird, sondern Spaß mit geschmacklicher Tiefe.“ Aber gerade das zeichnet Wissler in seiner feinen Abstimmung – sicher zwischen den Grenzen von Tradition und Avantgarde wandelnd – aus. Immer mit dem Fokus, das, was er mit dem Gericht aussagen möchte, auf den Teller zu bringen.

Joachim Wissler lehnt an seinem Sous Chef Denis Jahn

Zum Schluss muss das Gericht eine geschmack­liche und eine substanzielle Strahlkraft haben.
Erst dann findet es seinen Platz in Joachim Wisslers Menü

Zwischen Purismus und Komplexität

„Schnellster Teller aller Zeiten: fünf Stunden. Längster Teller aller Zeiten: bestimmt zwei Monate“, kann der Findungs- und Entstehungsprozess so unterschiedlich sein wie die Gerichte selbst. Als Tendenz in der Spitzengastronomie wagt der Sternekoch die Prognose, dass es bei den Bestandteilen nicht mehr in erster Linie darum gehe, ein neues Produkt finden zu müssen, sondern der schmeckbare Teil an Bedeutung gewinnt. Die Entwicklung eines neuen Gerichts ist bei Joachim Wissler verknüpft mit einer Art innerem Katalog, der wie automatisch abläuft.

„Wie puristisch muss das sein? Wie komplex darf es sein? Das sind immer so 200 verschiedene Anforderungen an einen Teller, die dann auch immer wieder aus anderen Richtungen kommen. Das ist sehr schön, wenn man denkt: Wie sind sie denn auf den Teller gekommen?“ Selbst bei Gerichten, die im Vendôme eine gewisse Tradition haben, wie dem Landei, schüttelt Wissler die neue Komposition nicht einfach so aus dem Ärmel.

Tradition, generell ein wichtiges Thema in der Wissler‘schen Küche. „Ich habe in den letzten 20 Jahren auch gelernt, dass meine Menüfolgen eine gewisse kulinarische DNA haben sollen.“ Konkret verbindet er damit eine regionale und nationale Verortung der Produkte in seinen Menüs. Was sich auch im Landei in der Onsen-Ei-Zubereitung zeigt, ob als „Landei, weißer Trüffel, Spinat & Nussbutter“ oder wie aktuell „Landei Miso gebeizt, Lachscreme, Eisbergsalat & d’Aquitaine-Kaviar“.

Drei Wochen haben Wissler und sein Team an dieser Variante gearbeitet. Entscheidend auch die Definition des Sättigungsgrades innerhalb der zehn Gänge. Experimentiert wurde mit einer leichten Spinatcreme oder einer Art Kartoffelsalat, „aber alles ist in einen Bereich gegangen, wo ich gesagt habe, wenn du den Teller gegessen hast, dann hast du beim nächsten einfach keinen Appetit mehr“. Doch dann verbindet er zwei vermeintlich banale Produkte, wie Landei und Eisbergsalat, und erhält „die Strahlkraft“, die ein Gericht braucht, um es auf die Karte des Vendôme zu schaffen. Um eine ausgewogene Würze aus Süße und Salzigkeit zu erzielen, beizt Wissler das Landei mit einer fermentierten Miso-Bohnenpaste. Die entsprechende Frische erhält das Gericht durch eine Vinaigrette aus dem Eissalat und Jod­aromen durch Kaviar, der hier lediglich als Gewürz eingesetzt wird. Darunter eine Creme von geräuchertem Lachs und ein gebratenes Eiweiß. Schlicht und doch facettenreich.

Joachim Wisslers Gericht „Landei Miso gebeizt, Lachscreme, Eisbergsalat & d’Aquitaine-Kaviar“ in einem anthrazitfarbenen tiefen Teller angerichtet. Dazu wird ein Kräcker mit Kaviar gereicht.

Neugier an Gäste weitergeben

Von diesen komplexen und zeitintensiven, Jahr für Jahr, Menü für Menü wiederkehrenden Gedankenspielen und Entwicklungsprozessen des 3-Sterne-Kochs, der nicht müde wird, seinen Perfektionsdrang und seine Neugier an seine Gäste weiterzugeben, bekommt dieser nichts mit. Dennoch will Joachim Wissler die Menschen, die ins Vendôme kommen, am Erlebnis teilhaben lassen – durch Transparenz und Präsenz. „Wir haben auch eine Küche, die von außen mit einem großen Glasfenster einsehbar ist. Da sehen die Leute, dass ich da bin und arbeite“, erklärt der Vendôme-Küchenchef und will doch etwas ganz anderes damit erreichen. „Es soll den Leuten klarmachen, wie viele Menschen da arbeiten, um für ein Restaurant mit maximal 40 Gästen am Abend den Leuten auch das zu bieten, was sie dann auf den Tisch bekommen.“ Dass harte Arbeit dahintersteckt, das sollen die Gäste trotz der Leichtigkeit sehen. Denn so weit lässt sich der Workaholic Joachim Wissler gerne in die Karten schauen, damit alle wissen, dass „Essen bei Wissler“ kein leeres Versprechen ist.

Wie Joachim Wissler die für ihn richtige Mischung aus Purismus und Komplexität in seinem Gericht „Kalbsbries & Spitzmorcheln | Weißer Spargel | Erbsen-Minzcreme“ vereint – HIER IM DETAIL!

Wie der 3-Sterne-Koch zwei vermeintlich banale Produkte wie Landei und Eisbergsalat in seinem Gericht „Landei & Schweineöhrchen | Miso gebeizt | Lachscreme | Eisbergsalat & D’Aquitaine-Kaviar“ in höchster Perfektion zubereitet, lest hier www.joachimwissler.com

www.schlossbensberg.com

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