Champagner – Perlen ohne Glanz

Es gärt in der Champagne – nicht nur in den Flaschen. Man erwartet für die nächsten Jahre revolutionäre, schon längst fällige Neuerungen. ROLLING PIN schaut sich kritisch um in der Wiege der Luxusperlen.
November 13, 2015

Fotos: Werner Krug, Moët & Chandon, beigestellt

Rose Chamagner Würden Sie Bordeaux aus der Schweiz akzeptieren? Eine Frage, die so blöd klingt, dass sich nicht einmal ein „Nein“ über Ihre Lippen quält? In wenigen Jahren wird die länderübergreifende Produktion von Schampus aber Realität – abgesehen von bereits existierenden Engagements, wie z. B. in Südamerika oder Spanien. Große Handelshäuser erstehen zurzeit ausgedehnte Ländereien in Südengland. Der Klimawandel, der Golfstrom, die Erderwärmung schaffen für den Weinbau – so argumentiert man dann gerne – ähnliche Rahmenbedingungen wie im originalen Ursprungsgebiet. Da lachen ja die Hühner in der Sektflöte! Wir vemuten gänzlich andere Beweggründe hinter der Okkupation. Zum einen belegen Marktstudien über die Zukunft des Weinhandels, dass dem Konsumenten der Markenname wichtiger ist als die Herkunft. Zum anderen wird der Platz rar im nördlichsten Anbaugebiet Frankreichs. Die ca. 34.000 ha in den Departements Marne (ungefähr 60 % der Fläche), Aube (20 %) und Aisne (10 %) reichen für die bläschensüchtige, globale Klientel schon lange nicht. Gemüse- und Getreidebauern lachen sich ins Fäustchen angesichts von Preisen ab 1 Mio. Euro für einen Hektar. Fragt sich nur, auf welchem Feld denn hinkünftig Pinot meunier (die meistangebaute Champagnertraube), Pinot noir und Chardonnay ausgepflanzt werden dürfen. Nicht, dass es keine Grundlagenforschung gäbe. Das Mastermind hinter dem Langzeitprojekt „Zonage“, der Agraringenieur Laurent Panagaï, fand wenig Freunde, als man vor kurzer Zeit beim Kongress der „Union des Œnologues de France“ in Reims seine Klassifikation diskutierte. Panagaï und seine Mitarbeiter­ haben über die ganzen Weinberge der Champagne einen 50-m2-Raster gelegt und dann diese Miniparzellen klassifziert. Auf dieser Basis würden natürlich viele Winzer ihre Premier- oder Grand-Cru-Klassifikation – und somit auch viel Geld – verlieren. Dazu muss man wissen…

Fotos: Werner Krug, Moët & Chandon, beigestellt

Rose Chamagner Würden Sie Bordeaux aus der Schweiz akzeptieren? Eine Frage, die so blöd klingt, dass sich nicht einmal ein „Nein“ über Ihre Lippen quält? In wenigen Jahren wird die länderübergreifende Produktion von Schampus aber Realität – abgesehen von bereits existierenden Engagements, wie z. B. in Südamerika oder Spanien. Große Handelshäuser erstehen zurzeit ausgedehnte Ländereien in Südengland. Der Klimawandel, der Golfstrom, die Erderwärmung schaffen für den Weinbau – so argumentiert man dann gerne – ähnliche Rahmenbedingungen wie im originalen Ursprungsgebiet. Da lachen ja die Hühner in der Sektflöte! Wir vemuten gänzlich andere Beweggründe hinter der Okkupation. Zum einen belegen Marktstudien über die Zukunft des Weinhandels, dass dem Konsumenten der Markenname wichtiger ist als die Herkunft. Zum anderen wird der Platz rar im nördlichsten Anbaugebiet Frankreichs. Die ca. 34.000 ha in den Departements Marne (ungefähr 60 % der Fläche), Aube (20 %) und Aisne (10 %) reichen für die bläschensüchtige, globale Klientel schon lange nicht. Gemüse- und Getreidebauern lachen sich ins Fäustchen angesichts von Preisen ab 1 Mio. Euro für einen Hektar. Fragt sich nur, auf welchem Feld denn hinkünftig Pinot meunier (die meistangebaute Champagnertraube), Pinot noir und Chardonnay ausgepflanzt werden dürfen. Nicht, dass es keine Grundlagenforschung gäbe. Das Mastermind hinter dem Langzeitprojekt „Zonage“, der Agraringenieur Laurent Panagaï, fand wenig Freunde, als man vor kurzer Zeit beim Kongress der „Union des Œnologues de France“ in Reims seine Klassifikation diskutierte. Panagaï und seine Mitarbeiter­ haben über die ganzen Weinberge der Champagne einen 50-m2-Raster gelegt und dann diese Miniparzellen klassifziert. Auf dieser Basis würden natürlich viele Winzer ihre Premier- oder Grand-Cru-Klassifikation – und somit auch viel Geld – verlieren. Dazu muss man wissen: 17 Dörfer besitzen Grand-Cru-Status (sie erhalten 100 % des offiziell festgelegten Traubenpreises) und 41 sind als Premier-Cru (90–99 %) eingestuft. Der nächste Stolperstein auf dem Weg zur Topqualität! Wie kann denn das gesamte Terroir eines Dorfes über einen Kamm geschoren werden? Der oft zitierte beste Boden für Champagnertrauben – karg und mager mit mächtiger Kreideschicht darunter – macht nicht einmal 30 % der Gesamtrebfläche aus. Highnoon, um einmal terroiristischen Klartext zu sprechen. Was für das Burgund gilt, für Piemont oder die Wachau – wir zahlen gerne Höchstpreise, aber nur für rare Weine aus den besten Lagen.
Moet 1995Logo, mit Lagenweinen – und das sieht das CIVC/Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne genauso – werden sich die großen Handelshäuser schwertun. Das Marketing dieser Giganten mit ihrem gut 70%-igen Marktanteil zielt sicher nicht auf die Positionierung von dutzenden Etiketten und Crus ab. Obwohl bereits erste Schritte gesetzt werden, bei Moët et Chandon oder bei Mumm etwa. Die Hauptprotagonisten der Prickler aus präzise abgesteckten Rieden sind aber die kleinen, engagierten Winzer/Güter vom Schlage eines Anselme Selosse, Pierre Lamandier-Bernier, Eric de Sousa, Francis Egly-Ouriet oder Pierre Moncuit – um nur einige zu nennen.
Ertrag und Qualität korrelieren! Was weltweit gilt, hat für den noblen Champagner offensichtlich keine Bedeutung. Fast 15.000 Kleinwinzer beliefern die großen und kleinen Namen im Geschäft, Genossenschaften und ihre selbstvermarktenden Nachbarn mit Trauben. Je mehr, desto besser. Zurzeit übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem und so erntet man halt, was das Zeug hält. 13.000 kg und mehr je Hektar – seit gut 25 Jahren werden die Erträge kontinuierlich in die Höhe geschraubt, gesetzeskonform natürlich. Freilich haben sich die Maßnahmen zum Pflanzenschutz extrem verbessert, detto die Qualität der Düngemittel. Und auch die neuen Klone (speziell nach dem Frost von 1985 wurde kräftig ausgesetzt) waren nicht nur ertragsmäßig den alten weit überlegen.
Dünner Grundwein auf Haushaltsmist gewachsen. „Die Plastikreste, die Sie in den Weingärten sehen, stammen von den Absperrbändern, mit denen die Weinbauern ihren Besitz markieren!“ Das hat man uns jahrelang erklärt und tut es auch heute noch. Warum man uns vor 20 Jahren nicht die Wahrheit sagte? Damals bestand doch geschredderter Pariser Haushaltsmüll noch großteils aus Gemüseresten, war quasi 100 % biologisch, okay für den Boden und wurde schon seinerzeit von vielen progressiven Betrieben trotzdem abgelehnt. Heutzutage aber, wo sich Metalldosen, Styroportassen, Glas u. Ä. in den Containern niederlassen, muss die Frage schon erlaubt sein, ob dieser Schrott nun wirklich zu einem (und in ein) 30-Euro-Getränk passt. Und da wäre noch Monsieur Egly zu zitieren, der mir in etwa flüsterte: „Wie bitte soll aus einem dünnen Süppchen großer Champagner entstehen?“
Die Probleme sind sonnenklar, ihre Lösung auch! Freuen wir uns also auf die schon lange angekündigte Revolution!

Prickelndes

Frankreichs nördlichstes Weinanbaugebiet umfasst 34.000 ha. Die bei weitem wichtigsten Rebsorten heißen Pinot meunier, Pinot noir und Chardonnay. 15.000 Winzer sind aktiv, aber nur jeder fünfte (3.300 Betriebe) füllt Champagner ab. Die Kürzel auf Etikett oder Korken machen zumindest klar, welchen Status der Abfüller hat: NM steht für einen Händler, der Trauben zukauft und veredelt, Cm bzw. RC sind Genossenschaften, den Erzeuger ziert ein RM. MA und ND sagen uns, dass der Markenname keinen Bezug zum Produzenten hat. Nicht ganz einfach, da durchzublicken. Der absolut größte Erzeuger Moët et Chandon bringt alljährlich 25 Mio. Flaschen auf den Markt, das zweitgrößte Haus Veuve Clicquot in etwa die Hälfte. Hinter den beiden Riesen steht derselbe Besitzer, das Luxuskonglomerat LVMH. Neben den Kleinproduzenten im Text empfehlen wir nachdrücklich: Gobillard, Henriot, Krug, Jacquesson, Lanson, Billecart-Salmon, Bollinger, Krug, Nicolas Feuillatte, Fleury, Gosset, Pol Roger, Roederer, Taittinger, Ruinart.

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