Dr. Badass: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben.

Dr. Badass & Top-Sommelier aus dem 2-Sterne Restaurant Tantris Justin Leone: Die ROLLING PIN-Sprechstunde über Wein!
September 24, 2015

Sommelier Justin Leone
Wie besessen hauten meine wutentbrannten Finger in die Tasten. Ein vergiftetes Wort nach dem anderen durchlöcherte den Schirm. Ein wutentbranntes Manifest, welches das personifizerte Böse an einem dubiosen Produkt namens Coravin festmachte und seiner trügerischen Existenz abschwor. Das System, welches vom Intrinsic-Therapeutics-Wunderknaben Greg Lambrecht erfunden wurde. Eine dünne Nadel durchdringt dabei den Naturkorken, das geruchlose Gas Argon strömt ein und verhindert eine ungewollte Oxidation. Der Wein fließt durch die Nadel in das Glas. Bei warmen Korken verschließt sich der entstandene Kanal unmittelbar nach dem Ausschenken und die Flasche kann sofort wieder liegend gelagert werden. Klingt unschuldig. Und zwar dann, wenn ein Weinkeller mehr wie eine Folterkammer aussehen soll als wie ein heiliger Ort der Geschichte und Tradition. Halb leere Flaschen zum Verrotten zurückgelassen, nur zum sadistischen Vergnügen seines bösen Sammlers. Vorbei sind die Tage des Korkenziehens, der Romantik und Aufregung zu erfahren, was einen erwartet. Jedenfalls nicht bei uns im Tantris. Dachte ich zumindest. Hier die Niederschrift meines besagten Briefes:

Lieber Greg,

um ganz ehrlich zu sein, empfinde ich dieses System als eine der herzzereißendsten Abscheulichkeiten der Weinkultur, die ich in meiner ganzen Karriere als Sommelier bisher ertragen musste. Heilige Rituale wie Brot brechen und Korken ziehen herzunehmen und durch die eisigen Klauen eines Laborprozesses zu verunglimpfen? Etwas so Heiliges und Natürliches wie einen Weinkeller in ein wahrhaftiges Labyrinth von Laborratten in Käfigen zu verwandeln, die wie hormonbehandelte Meerschweinchen gefoltert werden und langsam, aber sicher ihrer Existenz durch den vermeintlichen Laborleiter beraubt werden. Das finde ich absolut widerlich. Nicht zu vergessen: die Öffnung von Pandoras Büchse, an der wir alle teilhaben. Denn ab sofort hat jeder gewöhnliche Kriminelle das optimale Werkzeug, um gleich im eigenen Wohnzimmer den gesamten Weinmarkt zu betrügen. Die Geschichte wurde jetzt offiziell neu geschrieben, denn dank dieser bahnbrechenden Erfindung wird Betrug nicht mehr nur auf kranke geniale Geister wie Rodenstock oder Kurniawan begrenzt sein, sondern macht es jedem dahergelaufenen Trottel mit einer Kreditkarte möglich, Leute über den Tisch zu ziehen. Das hat nun höchstwahrscheinlich zur Folge, dass man keinem Wein mehr trauen kann. Da die Marke, handgeblasene Flaschen, Kapseln und gebrandete Korken nichts mehr taugen. Dieser neumodische Apparat extrahiert nicht nur Wein aus Flaschen, sondern auch gleich die Seele eines ganzen Business und damit einhergehend auch die Leidenschaft.

Alles, was ich tun kann, ist meine Meinung wie ein sprichwörtlicher Amokläufer zu verteidigen und darauf zu hoffen, dass der Strom dieses Bösen irgendwann abrupt gestoppt wird. Da aber schon so viele Maschinen auf diesem Planeten wuchern, macht es den Anschein, dass bereits beträchtlicher Schaden verursacht wurde. Ich hoffe nur, dass Herr Lambrecht an einem Punkt in seinem Leben erkennt, welchen fukushimaesquen Fehler er da auf die Welt losgelassen hat.

Und dann bekam ich eines Tages Besuch.

Herr Lambrecht hat sich über die ungestüme Leidenschaft meines Briefes anscheinend derart amüsiert, dass er sich die Mühe antat, den verrückten Schreiber zu treffen. Er reservierte unter einem Pseudonym einen Tisch und dinierte alleine. Ich hatte dem vermeintlichen Gast Greg bereits den Großteil seines 8-Gänge-Menüs serviert, bevor ich realisierte, wer da eigentlich vor mir saß. Fasziniert von seiner Motivation und der unausweichlichen Antwort auf den Brief, setzten wir uns an die Bar und machten eine fantastische Flasche deutschen Rieslings auf. Wir philosophierten, lachten, schwärmten von unglaublichen Jahrgängen und spannenden Erinnerungen. Der Riesling ging immer leichter die Kehle runter und gleichzeitig auch mein Verständnis für seine unglaubliche Maschine. Wir besprachen dabei auch die Gefahren der Fälscherei und die Risiken des nicht direkten Weinverkaufs, welche Mister Lambert allesamt sehr ernst aufnahm und dabei auch zugab, sämtliche Aspekte bestimmt nicht ganz durchdacht zu haben. Dann drückte er mir die „Räucherpistole“ in die Hand, für die ich ihn so beschimpft hatte, um damit zu Hause zu experimentieren. Und das war’s. Süchtig vom ersten Augenblick an. Im Rausch von Grand Cru schienen die Möglichkeiten endlos. Denn nicht länger muss man sich entscheiden den halb leeren Schätzen beim Sterben zuzusehen oder ganz einfach jeden Abend selbst besoffen zu sein. Junge Sommeliers können es sich nun leisten, in monumentale Jahrgänge zu investieren. Diese zu verkosten und sie auch blind zu erkennen. Um diese dann mit anderen Sommeliers wie Bücher zu tauschen. Weinkeller werden so zu vinifizierten Bibliotheken. Somit sind die enttäuschenden Tage vorbei, an denen man einen 300-Euro-Chambertin zum falschen Zeitpunkt aufmachen musste. Nimm einfach einen Schluck und wenn die Flasche noch nicht will, gib ihr später noch mal eine Chance. Geduld mit Wissen ist nun eine Option und die Gaumen aller zukünftigen Sommeliers werden um einiges schärfer sein, als die von meiner Generation es je sein konnten. Wie schon Bob Dylan sang: „The times, they are a changing.“ In diesem Fall ist das wahr und auch gut so. Visionäre wie Greg Lambrecht beglücken unsere kulinarische Kultur nur einmal im Leben und wir sollten diese Möglichkeiten annehmen und nicht ablehnen. Gäbe es also einen Nobelpreis für Wein, würde er definitiv meine Stimme bekommen.

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