Nikkei Food

Noch bevor man sich unter Fusion was vorstellen konnte, wurde in Peru gemixt, was das Zeug hält. Die Hintergründe zum Hype.
November 13, 2015

Nikkei FoodFotos: Shutterstock, www.es.bsn50.org

Kulturaustausch mal anders: Shoyu trifft auf Aji-Pfeffer. Miso auf Cilantro. Nikkei – die Verschmelzung von peruanischen und japanischen Küchentraditionen, Zutaten und Techniken – ist weit mehr als Fusionsküche. Sie ist Zeugnis der gelungenen Annäherung zweier Kulturen, Bestätigung der erfolgreichen Integration.

Der Begriff Nikkei bedeutet „Japaner außerhalb Japans“ und wurde in den 1980ern vom peruanischen Poeten und Kulinarik-Schreiberling Rodolfo Hinostroza zur Definition der nicht mehr ganz so neuen Küche verwendet. Seitdem haben sich viele Botschafter für Nikkei Food gefunden, angefangen bei Perus Starkoch Gastón Acurio über Nobu Matsuhisa bis hin zu den Adrià-Brüdern. Peru und seine Küchen waren seit jeher von Zuwanderern aus Spanien, Afrika, Japan, China und vielen weiteren Nationen geprägt. Doch die japanischen Einwanderer sorgten für den momentan wohl spannendsten Zusammenprall der Esskulturen…

 

Nikkei FoodFotos: Shutterstock, www.es.bsn50.org

Kulturaustausch mal anders: Shoyu trifft auf Aji-Pfeffer. Miso auf Cilantro. Nikkei – die Verschmelzung von peruanischen und japanischen Küchentraditionen, Zutaten und Techniken – ist weit mehr als Fusionsküche. Sie ist Zeugnis der gelungenen Annäherung zweier Kulturen, Bestätigung der erfolgreichen Integration.

Der Begriff Nikkei bedeutet „Japaner außerhalb Japans“ und wurde in den 1980ern vom peruanischen Poeten und Kulinarik-Schreiberling Rodolfo Hinostroza zur Definition der nicht mehr ganz so neuen Küche verwendet. Seitdem haben sich viele Botschafter für Nikkei Food gefunden, angefangen bei Perus Starkoch Gastón Acurio über Nobu Matsuhisa bis hin zu den Adrià-Brüdern. Peru und seine Küchen waren seit jeher von Zuwanderern aus Spanien, Afrika, Japan, China und vielen weiteren Nationen geprägt. Doch die japanischen Einwanderer sorgten für den momentan wohl spannendsten Zusammenprall der Esskulturen.

Was wirst du, wenn du groß bist?

1889 wurden rund 7000 Japanern Arbeitsverträge über eine Dauer von zwei Jahren in Peru angeboten. Sie arbeiteten auf Farmen und halfen, die Wirtschaft des Staates aufzubauen. Nach Vertragsende entschieden sich viele von ihnen, in Peru zu bleiben, gründeten Familien, integrierten sich in die Gesellschaft. Sie eröffneten eigene Geschäfte. Der Markt für japanisches Essen war noch sehr klein, also kochten sie peruanisch. Es schlichen sich jedoch kleine Veränderungen ein. Wenn nicht alle Produkte wie gewohnt verfügbar sind, sucht man eben eine Alternative. In den ersten Ausformungen sieht das so aus: Die Nikkei nahmen Gerichte, die gewöhnlich mit Fleisch serviert wurden, und ersetzten es durch Fisch. Vor 50 Jahren aß niemand in Peru Tintenfisch oder Aal. Die Fischer warfen sie weg. Die Japaner gingen an den Strand und sammelten sie ein. Diese Tendenzen – japanische Techniken mit den bestehenden peruanischen Gerichten zu vereinen – prägen die Frühphase der Cocina Nikkei. Ein Beispiel: Die klassische Ceviche wurde etwa um Ingwer und Alge ergänzt.

Zu diesem Zeitpunkt, vor über 50 Jahren, eröffneten auch die ersten Restaurants wie das La Buena Muerte. Diese frühen Wegbereiter wussten nicht, dass sie Pioniere einer neuen kulinarischen Identität waren. Sie arbeiteten schlichtweg so, wie sie es am besten konnten. Und während sie das taten, schlich sich nach und nach der Geschmack von Nippon in die Vielfalt. Eine der Familien aus der frühen Einwandererzeit ist die von Mitsura Tsumura, genannt Micha. Er ist ein peruanischer Nikkei-Koch, der seit 2009 in seinem Restaurant Maido in Perus Hauptstadt Lima die Fahne für die eigentlich nicht mehr so neue Küche hochhält. Seitdem hat er sich mit der Geschichte der Cocina Nikkei auseinandergesetzt und seine Erkenntnisse 2013 in Buchform gebracht.

Es ist im Internet als Gratisdownload verfügbar und nicht nur aufgrund der Rezepte eine Empfehlung zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema (Link zum Buch siehe QR-Code auf der nächsten Seite – Sprachen: Spanisch und Englisch). Micha erklärt, der Weg zu Nikkei Food sei ein langsamer Prozess, der von äußeren Umständen beeinflusst wurde. So begann die zweite Phase, als Firmen wie Toyota oder Mitsubishi nach Peru kamen. Inklusive ihrer Angestellten. Der Bedarf an japanischem Essen stieg. Vor circa 25 Jahren bekamen die japanischen Köche aber vor Ort nicht alle Zutaten, die sie für ihre Gerichte benötigten, und begannen, mit dem Verfügbaren zu arbeiten. Japanisch trifft auf peruanische Geschmäcke.

Beflügelt vom aufkommenden Sushi-Boom in den USA und langsam auch dem Rest der Welt, wuchs die Nachfrage nach dem Neuen zusätzlich. Nikkei-Sushi wird aus der Taufe gehoben und als Lachsnigiri mit scharfer Paprikasauce oder Entennigiri mit Reis und Cilantro im Restaurant Edo einer größeren Klientel nahegebracht. Dazu kamen Hanzo, Ozaka und viele weitere. Ein Boom war die Folge. Sogar Sandwichläden, sogenannte Chicharronerias, versahen ihre peruanischen Delikatessen mit einem Touch Nikkei.

Tintenfische wurden damals
von den peruanischen
Fischern weggeworfen
Die Japaner sammelten die
verschmähte Kost am Strand ein.

 

Granatapfel mit Sansho Pfeffer

Nikkei war nicht plötzlich da. Es entwickelte sich über die Zeit.
Micha über das Fundament von Nikkei Food

Internationale Nikkei-Botschafter

Eine bedeutende Rolle in der Wahrnehmung von Nikkei hat auch der für sein Edel-Sushi bekannte Nobu Matsuhisa. Mit ihm erobert die Nikkei-Küche Hollywood. Der Koch besuchte nach seiner Ausbildung in Japan Peru und lernte Nikkei, aber auch peruanische Delikatessen kennen. Er probierte das Nationalgericht Ceviche und erkannte, dass roher Fisch auch noch andere Begleiter als Shoyu und Wasabi vertrug. Kalt gegart mit Limonensaft und Aji-Pfeffer schmeckte es perfekt.

Matsuhisa machte seine eigene Version mit etwas dünner geschnittenem Fisch in Yuzu-Saft, einer japanischen Zitrusfrucht ähnlich der Bitterorange. Dieser neue Geschmack erschütterte ihn fundamental und er sah die Bandbreite, die die Küche bot, ihr Potenzial. Er begann, die Märkte in Lima abzugrasen, entdeckte Produkte und kostete sich durch die traditionellen Gerichte der Fischer. Er brachte seine Ideen zur Perfektion und das Konzept ging voll auf. Heute betreibt er 20 Restaurants in Städten wie Mailand, Dubai, London und New York.

Besonders gute Voraussetzungen

Nikkei tritt nicht nur in Peru auf. Jedoch nur im Andenland fügt sich die Küche in so einer Harmonie. Laut Micha liegt das an den fundamentalen Zutatenkombinationen: „Chili mit Sojasauce ist eine perfekte Kombination. Das ist wie die DNA der Küche, stellt ihr Fundament dar. So wie Tomaten und Olivenöl für die mediterrane Küche.“ Das und die Tatsache, dass sowohl Japaner als auch Peruaner viel Reis essen, hat die Vermählung der Geschmäcke in Nikkei gefördert. Die Soziologin und Expertin peruanischer Küche, Isabel Álvarez, erklärt den Reiz an Nikkei so: „Wie Japan hat auch Peru eine jahrtausendealte Geschichte.

Wir sind zwei große Nationen mit großen kulinarischen Traditionen. Das gibt dem Ganzen die nötige Balance und erlaubt uns den Schritt von banaler Anpassung zu einer neuen Dynamik; Gegensätze zogen sich an, ergänzten einander und keine der beiden Seiten sog die andere so weit auf, dass sie verloren ging.“ Gegenwärtig hat die Nikkei-Entwicklung eine neue Facette bekommen. Obwohl sie immer noch auf eine glasklare Definition wartet und ihre Grenzen stetig fließen, erobert Nikkei die Welt. Zeugen davon sind internationale Restauranteröffnungen wie Albert und Ferran Adriàs Pakta in Barcelona. Das Restaurant hat ein Fingerfoodkonzept ohne À-la-carte-Angebot, dafür mit zwei Menüvarianten – Fujiyama und Machu Picchu. Pakta-Chefkoch Jorge Munoz aus Trujillo, Peru, versucht, alles, was Peru zu bieten hat, in die Gerichte einfließen zu lassen.

Kulinarisch übersetzt klingt das so: Nach Amuse-Gueules wie „Ocean Crunch mit Kimchi und Algenpulver“ geht es mit rohen, säuerlichen Vorspeisen weiter. Manchmal sind sie geräuchert, manchmal moderat scharf. So wie „Tomatenceviche mit Blutorange und Rübensaft-Tigermilch-Granita“, „Geräucherte Makrele mit Codium-Alge und Seegrassalat“ oder „Aal-Nigiri“. Das Menüfinale ist warm mit klassischen Gerichten wie Lomo Saltado, das mit Kartoffelsoufflé und Maisbrot serviert wird. Den Abschluss bilden Vanille und Erdbeer-Mochi und Süßkartoffel-Picarones. Nikkei steht an der vordersten Front des peruanischen Gastronomie-Booms. Micha erinnert aber: „Das Konzept reift noch.

Leute beginnen sogar in Peru erst zu begreifen, was Nikkei Food ist, sie haben es gegessen, ohne es zu wissen. Sie lieben es, kennen aber den Ursprung nicht.“ Das dürfte sich durch den großen Erfolg jedoch rasch ändern, den Nikkei-Gastronomiekonzepte weltweit erfahren. Und da sich Micha wie auch andere Botschafter der Cocina Nikkei dem Erforschen neuer Zutaten widmen – täglich werden es mehr –, bleibt es spannend, in welchen Variationen sie uns noch begegnen wird. Eines steht durch Nikkei jedenfalls fest: Kreativität ist ihre wichtigste Zutat. Und die stößt sich Gott sei Dank nicht an Traditionen.

Chili mit Sojasauce ist wie die DNA dieser Küche.
Micha über das Fundament von Nikkei Food

 

Chili mit Sojasauce

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