Wie wird Kaviar produziert?

Ob aufgeschlitzt, sanft massiert oder per Kaiserschnitt – um an das Schwarze Gold der sagenumwobenen Störe heranzukommen, ist uns nichts zu aufwendig. Worauf es bei der Kaviarproduktion wirklich ankommt – und was Insektenlarven damit zu tun haben.
Juni 6, 2019 | Text: Lucas Palm | Fotos: Raphael Gabauer

Nur Fischeier, von denen man nicht satt wird?

Es ist der Inbegriff des kleinen, feinen und filigranen Stückchens Luxus, das die Teller in den Fine-Dine-Tempeln der Welt mit dem exquisiten i-Tüpfelchen versieht. Das schwarze Gold, wie Kaviar auch genannt wird, ist als Spitzenprodukt unerreicht. Zumindest was die harten Zahlen betrifft: Ein Kilo des kostbaren Beluga-Stör-Kaviars beispielsweise kostet sage und schreibe 5000 Euro. Ein Kilo des seltenen Almas-Kaviar sogar 27.000 Euro. Diese Eier von 60 bis 100 Jahre alten Beluga-Stören sind jedoch so selten, dass sie nur spaßhalber erwähnt werden sollten. Denn wer will schon um das Geld eines gediegenen Kleinwagens ein Kilo unreifer Fischeier kaufen, von denen man ohnehin nicht satt wird? Offenbar viele. Oder genauer gesagt: immer mehr.
Die Fische wachsen dort in Aquakulturen ohne westliche Standards auf. Teilweise mit zugefügten Medikamenten, die in Europa gar nicht zugelassen sind.
Romeo Schermann über die zweifelhafte Kaviarproduktion in China 

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Zwar gab und gibt es immer wieder Versuche, bei der Kaviarernte den Stör am Leben zu lassen. Doch die Nachteile reichen von mangelnder Hygiene bis zu unvertretbaren qualitativen Einbußen – und beweisen: Nichts geht über einen chirurgisch präzisen Bauchschnitt.

Nur Fischeier, von denen man ohnehin nicht satt wird?

Es ist der Inbegriff des kleinen, feinen und filigranen Stückchens Luxus, das die Teller in den Fine-Dine-Tempeln der Welt mit dem exquisiten i-Tüpfelchen versieht. Das schwarze Gold, wie Kaviar auch genannt wird, ist als Spitzenprodukt unerreicht. Zumindest was die harten Zahlen betrifft: Ein Kilo des kostbaren Beluga-Stör-Kaviars beispielsweise kostet sage und schreibe 5000 Euro. Ein Kilo des seltenen Almas-Kaviar sogar 27.000 Euro. Diese Eier von 60 bis 100 Jahre alten Beluga-Stören sind jedoch so selten, dass sie nur spaßhalber erwähnt werden sollten. Denn wer will schon um das Geld eines gediegenen Kleinwagens ein Kilo unreifer Fischeier kaufen, von denen man ohnehin nicht satt wird? Offenbar viele. Oder genauer gesagt: immer mehr.
Die Fische wachsen dort in Aquakulturen ohne westliche Standards auf. Teilweise mit zugefügten Medikamenten, die in Europa gar nicht zugelassen sind.
Romeo Schermann über die zweifelhafte Kaviarproduktion in China 
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Zwar gab und gibt es immer wieder Versuche, bei der Kaviarernte den Stör am Leben zu lassen. Doch die Nachteile reichen von mangelnder Hygiene bis zu unvertretbaren qualitativen Einbußen – und beweisen: Nichts geht über einen chirurgisch präzisen Bauchschnitt.
Denn die Kaviarproduktion befindet sich gerade in einem Allzeithoch. Heute werden 600 Tonnen weltweit produziert. Das klingt im Vergleich zu anderen Lebensmitteln erst einmal nach wenig. Nur: Der letzte Höhepunkt der späten 1970er-Jahre wird damit um das Sechsfache (!) überschritten. Dieser lag damals zwischen 70 und 100 Tonnen, hätte jedoch fast das komplette Aussterben der sagenumwobenen Störe zur Folge gehabt. Es ist der Aquakultur zu verdanken, dass die einst so gefährdete Spezies heute eine beispiellose Renaissance erlebt. Doch mit dem Washingtoner Abkommen, das seit 1998 den Wildfang von Stören weltweit verbietet, gewinnt die Aquakultur nicht nur an Relevanz, sondern auch an Problematik.

Denn: Ganze 70 bis 80 Prozent des weltweiten Zuchtkaviars kommen aus China. An und für sich ja kein Problem, nur: „Die Fische wachsen dort in Aquakulturen ohne westliche Standards auf. Teilweise mit zugefügten Medikamenten, die in Europa gar nicht zugelassen sind“, sagt einer, der es wissen muss: Romeo Scherman ist einer der wenigen Kaviarproduzenten in unseren Breiten. Im abgelegenen Mariasdorf im Burgenland züchtet er zwischen 2000 und 3000 Störe, deren Kaviar er seit etwa drei Jahren verkauft. Da die weltweite Kaviarproduktion heute zu 90 Prozent in Aquakulturen stattfindet, bildet er nicht nur unter geografischen Gesichtspunkten eine Ausnahme. Denn seine Sibirischen Störe, Russischen Störe, Hausen-Störe und die vergleichsmäßig kleineren Sterlets wachsen in urigen Naturteichen auf, die für den aufmerksamen Beobachter ein faszinierendes Panoptikum der Kaviarproduktion von A bis Z bieten.

Kürbiskerne für den Kaviar

„Begonnen habe ich hauptsächlich mit einjährigen Sibirischen Stören“, sagt Schermann. „Aber den Markt aufbereitet haben wir mit etwa 150 Stück Sechs- bis Siebenjähriger. Das waren bis jetzt auch jene Fische, deren Kaviar wir geerntet haben.“ Der innovative Kaviarverrückte spricht damit einen zentralen Punkt an. Denn die meisten Fischsorten brauchen durchschnittlich etwa fünf Jahre, bis sie das erste Mal Kaviar erzeugen. Erst nach diesem halben Jahrzehnt nämlich werden die Störe geschlechtsreif – und sind damit in der Lage, Eier zu produzieren. Bei Schermann jedoch brauchen die Störe ein bis zwei Jahre länger.
Die machen sechs Milliarden im Jahr. 
Romeo Schermann über Skretting, den weltweit größten Hersteller von Futtermittel für Zuchtfisch 
„In meinen Teichen ernähren sich die Störe hauptsächlich von Plankton, aber auch Algen und Insektenlarven, die ganz natürlich im Teich vorkommen. Zusätzlich füttere ich sie mit Kürbispresskuchen, also dem Restprodukt der Kürbiskernölproduktion. Das hat ein recht gutes Verhältnis zwischen Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten – also allem, was Störe so brauchen.“ Die in Aquakultur gezüchteten Urfische hingegen werden zu einem erstaunlich, ja fast schon schockierend großen Teil mit Skretting, weltweit größter Hersteller von Futtermitteln für Zuchtfisch, gefüttert.
„Dieses Unternehmen macht ungefähr sechs Milliarden Euro im Jahr – alleine mit diesem Futter“, weiß Schermann. „Damit füttern so gut wie alle.“ Ein weiterer Unterschied zwischen der Störzucht in freier Wildnis und jener in Aquakultur: der Winter. „Im Gegensatz zur Aquakultur fressen die Störe in der Natur im Winter extrem wenig. Denn in industriellen Störzüchtungen gibt es schlicht und ergreifend mehr Wasserdurchfluss, wodurch das Wasser nicht gefriert. Meine Teiche frieren im Winter meist zu, aber die Eisdecke macht den Fischen gar nichts, im Gegenteil: Diese Ruhepause tut ihnen und auch dem Kaviarprodukt gut, weil es eben natürlich ist.“ In der Regel werden die majestätischen Dinosaurierfische ab etwa zehn Grad wieder gefüttert – sofern sie nicht genau in diesen kalten Monaten aufgeschlitzt werden.

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Aus dem Bauch heraus: Beim echten Kaviar handelt es sich um unreife Eier, die von anderen Zellen, Blutgefäßen und Follikelzellen umgeben sind. Diese stabilisieren das Ei und verleihen dem Kaviar den entsprechend dichten und intensiven Geschmack. 

Salziger Schlachtruf

Jetzt geht’s also ans Eingemachte. „In der Regel verläuft der Verarbeitungsprozess sehr schnell“, erklärt der burgendländische Rogen Roller. Der Fisch wird getötet und aufgeschlitzt. Dann wird der Kaviar behutsam aus dem Inneren des Störs entnommen. „Wir nehmen anschließend die Innereien des Fischs aus und er wird als Ganzes gewaschen. Da wir wie viele andere in diesem Prozess auch Störfilets herauslösen, kommt der ausgenommene Fisch dann in eine Fleischkiste, wo er darauf wartet, filetiert zu werden.“ Doch die Priorität hat der Kaviar, der schnell weiterverarbeitet werden muss. „Jetzt wird auch er gewaschen, gereinigt und gesalzen – und kommt sofort in die Dosen.“ Was innerhalb dieses Prozesses am nebensächlichsten klingt, kann bei Gourmets und Kaviarproduzenten gleichermaßen in regelrechte Glaubenskriege ausarten: das Salzen.
„Malossol“ lautet der Schlachtruf. Russisch für leicht oder schwach gesalzen, bezeichnet er Kaviar, der mit knapp drei bis vier Prozent des Rogengewichts gesalzen wird. Der Grundgedanke: Je schwächer Kaviar gesalzen wird, desto weniger wird sein Eigengeschmack beeinflusst. Hochwertiger Kaviar braucht also nicht mehr Salz als für die Haltbarkeit nötig. Das schwarze Gold hält sich vakuumverpackt etwa zwei Monate, mit einer zusätzlichen Pasteurisierung etwa drei Monate. Da die Kälte in den Wintermonaten der Haltbarkeit natürlich förderlich ist, wird der in dieser Jahreszeit geerntete Rogen logischerweise weniger gesalzen. Nicht zuletzt deswegen gilt der im Winter geerntete Kaviar als der beste. „Ich ernte den Rogen meiner Störe zwischen September und Ostern. Das heißt, ich salze unter dem Malossol-Standard, nämlich 2,8 Prozent“, erklärt Schermann.
Alle großen Betriebe haben Angst davor. 
Romeo Schermann über die berüchtigte Kaiserschnitt-Methode, bei welcher der Stör nach der Kaviarernte zugenäht und wieder ins Becken gelassen wird 

Österreichisches Steinsalz überall

Nach der Behandlung mit Salz wird unbehandelter Störrogen dunkel, davor ist er meist hell, fast glasig. Die Körner werden dadurch fester und knackiger. Besonders interessant: Der Großteil der Kaviarproduzenten – auch und vor allem in China! – salzt seinen wertvollen Rogen mit österreichischem Steinsalz. Schermann übrigens auch.
Aber gehen wir einen Schritt zurück. Da der leidenschaftliche Kaviarkönig – und mit ihm auch andere Kaviarproduzenten – neben der Kaviarernte auch die besten Stücke des Störs filetieren, wird der Fisch logischerweise getötet. Doch was die ausschließliche Kaviar­ernte – also die Entnahme der Eier – angeht, war das nicht immer so – und könnte sich eines Tages wieder ändern.

Es ist kompliziert

Sowohl in Russland als auch in unseren Landen wurde immer wieder die sogenannte Kaiserschnitt-Methode praktiziert. Dabei wird durch einen kaiserschnittähnlichen operativen Eingriff dem Stör bei lebendigem Leibe der Rogen entnommen, bevor er zugenäht und anschließend zurück in das Becken entlassen wird. Das Ziel: die mehrmalige Kaviarerzeugung innerhalb eines doch sehr langen Störlebens, das über 100 Jahre dauern kann. Das Problem: Infektionen. „Mittlerweile haben die großen Betriebe alle Angst davor. Wenn da aus hygienischer Sicht etwas schiefläuft, könnte der Fisch den gesamten Bestand anstecken“, erklärt Schermann. Mittlerweile gibt es eine weitere Variante, von der jedoch fraglich ist, ob sie sich tatsächlich durchsetzen wird. Indem der Bauch des Störs sanft in die entsprechende Richtung massiert wird, kann der Kaviarrogen herausgedrückt werden.
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Schwimmt mit seinen Uber 2000 Stören gegen den Strom der von Aquakultur dominierten Kaviarindustrie: Romeo Schermann aus Mariasdorf im Burgenland.

Keine Operationen

Das Problem: Bei dieser Methode werden reife Eier geerntet, die sich, im Gegensatz zu den unreifen, weiter unten in der Bauchhöhle befinden – und in der Regel nicht verwendet werden können. Beim echten Kaviar handelt es sich hingegen um unreife Eier, die wiederum von anderen Zellen, Blutgefäßen, Follikelzellen umgeben sind. Diese stabilisieren das Ei und verleihen dem Kaviar den entsprechend dichten Geschmack. Da die reifen Eier nicht durch Zellen und Blutgefäße gefestigt werden, verklumpen sie sofort, sobald sie mit Salz in Kontakt kommen. Dass für diese Methode im Rahmen eines deutschen Forschungsprojekts eine Flüssigkeit entwickelt wurde, die eine künstliche Erhärtung der Eihüllen bewirkt und aus reifem Stör­rogen Kaviar macht, ohne dass Störweibchen sterben müssen, hat die klassische Kaviarpoduktion bis jetzt gänzlich unberührt gelassen. „Operieren“, fasst Schermann zusammen, „tut so gut wie keiner mehr.“
Der Sibirische Stör hat meines erachtens den besten geschmack. Er ist cremig-nussig und ausgesprochen intensiv.
Romeo Schermann über seinen Lieblingskaviar
Die dargestellten Zucht- und Erntemethoden des Störs und seines schwarzen Golds werden weltweit – abgesehen von den Qualitätsunterschieden – gleich umgesetzt. Doch was den Geschmack der einzelnen Kaviararten betrifft, darüber könnte man sich bekanntlich uneiniger nicht sein. „Der Sibirische Stör“, schwärmt Schermann, „hat meiner Meinung nach den besten Geschmack. Er ist cremig-nussig und ausgesprochen intensiv.“ Die 2,2 bis 2,5 Millimeter großen Eier haben eine charakteristische, dunkelolivgrüne Farbe, die sich leicht von jener des Russischen Störs unterscheidet.

Kaviar pur

Je weniger Salz er enthält, desto bernsteinfarbener ist er. Aber er kann auch ein sattes, dunkles Olivgrün annehmen, ohne dass seine bis zu 2,7 Millimeter kleinen Eier an Intensität verlieren. Weniger intensiv ist dann auch der Hausen, der – entgegen Schermanns Geschmack – als König unter den Kaviarsorten gilt. Dass seine Eier auch ein wenig größer sein können, liegt ganz einfach daran, dass generell gilt: Je größer der Fisch, desto größer auch sein Kaviar. Umso ironischer ist es daher auch, dass ausgerechnet die kleinsten Eier die luxuriösesten und teuersten sind, nämlich die des Albino-Sterlets. Sahnig und nussig zugleich, sind dessen Eier laut Schermann „weicher und kleiner“. Sosehr das schwarze Gold als filigranes Stückchen Luxus auf den Tellern dient – sosehr kann, ja soll es auch möglichst pur genossen werden. Zumindest, wenn es nach Romeo Schermann geht: „Ich liebe zum Beispiel frische Austern mit einem Löffel Kaviar. Ein bisschen Zitrone, ein kleiner Schluck Wodka dazu – wow.“ Da ist man verführt, endlich zu verstehen, warum bei so manchem Produktfanatiker Geld einfach keine Rolle spielt.

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