Virgilio Martínez: Höhen und Tiefen

Zwischen 25 Metern unter dem Meeresspiegel und 4200 Metern in luftigen Höhen sucht der Peruaner Virgilio Martínez nach der kulinarischen Identität seines Heimatlandes. Mit Erfolg.
Juni 7, 2017 | Text: Kathrin Löffel | Fotos: Helge O. Sommer, Claudio Martinuzzi

Eine unverkennbare Handschrift, maximale Geschmacksausbeute, kreative Produktkompositonen – man kann viel über den Pionier der ­neuen peruanischen Küche sagen, aber langweilig oder einfallslos ist er sicher nicht. 
Auf jeden Fall ist Virgilio Martínez der Mann, der als allererster Einreisender ein Piranha-Filet über die Grenze nach Österreich gebracht hat. Nur wer Außergewöhnliches macht, wird auch als bester Koch Südamerikas ausgezeichnet und rangiert so wie Virgilio Martínez auf der 50-Best-Restaurants-Liste auf Platz fünf. 
CHEFDAYS-Speaker: Virgilio Martínez
Trotzdem ist der Peruaner auf der Bühne eher zurückhaltend und zeigt stolz, aber nicht überheblich, wie er Tag für Tag die kulinarische Reputation nach vorne bringt.
„Ich koche einfach mal und zeige euch, wie ich arbeite“, beginnt Martínez seine Show vor den über 1000 Besuchern während seiner Cooking Demonstration. Die Gerichte, die Martínez zubereitet, sind alle von der Philosophie seines ausgezeichneten Restaurants Central in der peruanischen Hauptstadt Lima geprägt. 
Martínez: „Wir kochen nicht saisonal oder eingeschränkt regional. Wir präsentieren mit einem Gericht eine bestimmte Region in Peru.“ Zwischen 4200 Metern in luftiger Höhe und 25 Metern unter dem Meeresspiegel spielt sich die Küche des Peruaners ab. Jeder Teller der mehr als 17 Gänge seines Menüs ist eine Hommage an eine bestimmte Region des vielfältigen Landes. Der Name der Gerichte verrät die Höhe der Region über dem Meeresspiegel.

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Eine unverkennbare Handschrift, maximale Geschmacksausbeute, kreative Produktkompositonen – man kann viel über den Pionier der ­neuen peruanischen Küche sagen, aber langweilig oder einfallslos ist er sicher nicht.
Auf jeden Fall ist Virgilio Martínez der Mann, der als allererster Einreisender ein Piranha-Filet über die Grenze nach Österreich gebracht hat. Nur wer Außergewöhnliches macht, wird auch als bester Koch Südamerikas ausgezeichnet und rangiert so wie Virgilio Martínez auf der 50-Best-Restaurants-Liste auf Platz fünf.
Trotzdem ist der Peruaner auf der Bühne eher zurückhaltend und zeigt stolz, aber nicht überheblich, wie er Tag für Tag die kulinarische Reputation nach vorne bringt.
„Ich koche einfach mal und zeige euch, wie ich arbeite“, beginnt Martínez seine Show vor den über 1000 Besuchern während seiner Cooking Demonstration. Die Gerichte, die Martínez zubereitet, sind alle von der Philosophie seines ausgezeichneten Restaurants Central in der peruanischen Hauptstadt Lima geprägt.
CHEFDAYS-Speaker: Virgilio Martínez
Martínez: „Wir kochen nicht saisonal oder eingeschränkt regional. Wir präsentieren mit einem Gericht eine bestimmte Region in Peru.“ Zwischen 4200 Metern in luftiger Höhe und 25 Metern unter dem Meeresspiegel spielt sich die Küche des Peruaners ab. Jeder Teller der mehr als 17 Gänge seines Menüs ist eine Hommage an eine bestimmte Region des vielfältigen Landes. Der Name der Gerichte verrät die Höhe der Region über dem Meeresspiegel.
Martínez: „In einer Stunde kann ich von meinem Restaurant Central in der Calle Santa Isabel 376 in Lima auf 79 Meter Meereshöhe an der Küste, auf dem Berg oder im Dschungel sein. Das macht Peru so wahnsinnig interessant für mich.“ Und für die Welt: Vor neun Jahren begann Martínez, mit dem Central die kulinarische Vielfalt auf den Teller zu bringen.
Mit dem Einstieg in die 50-Best-Restaurants-Liste folgten die internationalen Gäste, denen er jetzt voller Stolz die Biodiversität des Landes näherbringen kann. Und zwar in lecker. Martínez steht in seinem Heimatland für die konstante Wiederentdeckung und Zähmung der Natur, die in Europa hauptsächlich für verwirrte Blicke sorgt.
Es sind diese Neuheiten wie Copazu, Algar-robina, Tumbo und Chuño, die Martínez in die Liga der zu entdeckenden Köche katapultiert haben. In mühevoller Kleinarbeit und in enger Zusammenarbeit mit der Mater Iniciativa, einem Zusammenschluss von Köchen, Anthropologen, Forst-Ingenieuren und verschiedenen Industriellen, arbeiten sich Martínez und sein Team – mit Pia León, seiner Ehefrau und Headchef im Central – konsequent durch Peru, um in seiner Küche 100 Prozent peruanische Lebensmittel auf die Teller zu bringen.
Immer auf der Suche nach Produkten, die entweder in Vergessenheit geraten oder noch nicht einmal für die Küche entdeckt worden sind. Einschränken muss er sich bei der Menü-Kreation trotz seiner Landesgrenze sicher nicht: Peru ist ein vielfältiges Kulinarikparadies.
Virgilio Martínez: River Scales, Knollen und Farben des Amazonas
2300 Kilometer Küste, an der durch das kalte Wasser des Humboldtstroms Anglerfische, diverse Muscheln von Jakob bis Auster, Calamari und Oktopusse in die Netze gehen, das Hochland mit mehr als 4200 Sorten Kartoffeln und alten Getreidesorten und nicht zu vergessen, dass 60 Prozent der Landesfläche Perus von Regen- und Nebelwald bewachsen sind. Der Amazonas mit Maniok, Lulo, Açai und Co. lässt grüßen.

Kulinarische (Wieder-)Entdeckungsreise

Dem Unbekannten die Chance zu geben, sein ganzes Aroma zu entfalten – das ist die tägliche Aufgabe von Martínez. So wie die kleinen Algen, die streng genommen gar keine sind, die auf 3000 Meter Seehöhe, in der Provinz Cusco, in kleinen Frischwasser-Pools entstehen, die vom Regenwasser gebildet werden.
Die Cyanobakterien sind kleine Kügelchen mit einem Durchmesser von ein bis zwei Zentimetern und essbar. Die Cushuro passen perfekt zur Tunta. Die frostresistente Isco-Kartoffel – in Peru, dem Heimatland der Knolle, gibt es über 3000 verschiedene Sorten – wird auf natürlichem Weg in 4200 Meter Seehöhe über Nacht gefriergetrocknet.
Das entzieht ihr das Wasser, zusätzlich zur Sonne, die am nächsten Tag für noch mehr Austrocknung sorgt. Durch mehrfache Wiederholungen entsteht die Tunta, die den „Tränen der Bitterkeit“ – der Cushuro – einen erdigen Einfluss bescheren. Martínez lernte in über zehn Jahren in Europa und Asien die Technik, die er heute in Lima anwendet, und zwar mit Erfolg:
Er führt die 50-Best-Restaurants-Liste der besten Restaurants Lateinamerikas an. Und das mit seiner Interpretation der peruanischen Küche, von der in Europa lediglich Ceviche angekommen ist.

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In Martínez’ beiden Londoner Restaurants gibt es übrigens kaum Überschneidungspunkte mit dem peruanischen Flagship. Die europäische Klientel bekommt klassische peruanische Gerichte – auf Spitzenniveau, aber ohne bittere Tränen oder getrocknete Isco.
Zurück zum anfangs erwähnten Piranha, der mit viel Hin und Her in Österreich einreisen durfte. Was macht der Killerfisch auf der CHEFDAYS-Bühne?
Hier heißt es heute nicht Piranha frisst Mensch, sondern Mensch isst Piranha – und zwar in roh. Mariniert hat Martínez das Fischfilet mit der Flüssigkeit eines Kaktus und gemeinsam mit farbgebenden Samen, die eher an gedrehte Würmer als an europäisch Bekanntes erinnern, eingelegt. 
Zusammen mit essbarem Lehm – ja, Lehm – und drapiert auf der Sacha Papa – einer Kartoffelsorte, die auch als fliegende Kartoffel bekannt ist, da sie von Bäumen hängt. Für Martínez spielen die Teller – oder das, was er zum Teller macht – eine wichtige Rolle. Zerbrochene Tonscheiben können im Central im Handumrehen zur Unterlage des Amuse-Gueule werden. Oder eben eine fliegende Kartoffel, die eigentlich gar keine ist.
Ein weiteres Gericht seiner Cooking Demonstration ist eines seiner Signature Dishes: „Diversity of Corn“. Ein Sinnbild seiner Philosophie. Alleine vom Mais gibt es weit über 80 Sorten mit verschiedenen Texturen, Farben und Geschmäcken. Der violette Mais, auch Kculli genannt, gesellt sich zum roten, gelben und orangen.
Für Maishippe, -mousse und -cracker werden bis zu fünf verschiedene Sorten zusammengemengt. Eine Sphäre aus zwei Maissorten und dazu eine Sauce aus gebrannter Maishaut. 
Virgilio Martínez: Diversity of Corn
„In dem Gericht wird die ganze Vielfalt eines einzigen Gemüses dargestellt. Mit jedem Biss kannst du die Intensität und Unterschiede erschmecken. Es macht Sinn und schafft ein neues Verständnis für die Power des Mais – wie viel möglich ist mit nur wenigen Zutaten“, erklärt Martínez auf der Bühne, während er das Korn in seiner ganzen Vielfalt anrichtet.
Besonders beeindruckend ist auch das Kartoffel-Gericht. Alleine der Anblick der verschiedenen Sorten mit unterschiedlichen Farben und Formen macht die Vorbereitung zu einem cineastischen Erlebnis. Getrocknet, frittiert, püriert, in Form eines Crackers – alle möglichen Formen gemeinsam mit nur wenig Grünzeug, denn auf 4000 Metern über dem Meeresspiegel mit wenig Sauerstoff in der Luft wächst nicht viel.
Virgilio Martínez ist ein Mann, dem man schon beim Anrichten seiner Gerichte glaubt, dass er besonnen und neugierig durch Berg, Tal und Dschungel zieht. Dass er aber überhaupt eines Tages in einer Küche stehen würde, war nicht absehbar. Als angehender Jurist überlegte er sich während des Wartens auf die Einschreibung für das neue Semester, dass er dann doch lieber Koch als Anwalt werden möchte. 
Das Studiengeld bekam der Vater zurück und Martínez machte sich auf, um nach einer Ausbildung an der renommierten Cordon-Bleu-Akademie mehr als ein Jahrzehnt durch die Küchen der Welt zu reisen. Von London über Singapur, wo er eine Stage im Four Seasons machte, bis hin zum Can Fabes in Sant Celoni.
Die Wahrscheinlichkeit, in Zentraleuropa noch ein Produkt zu finden, das es noch niemals in einer Art und Weise in eine kommerzielle Küche geschafft hat, tendiert gegen null. In Peru bei einem Nachmittagsausflug in die Berge oder in den Dschungel kann der wachsame Jäger und Sammler mit einem Ranzen völlig unbekannter Wurzeln, Kräuter und Früchte zurückkehren. 
Die individuelle und auf den Punkt gebrachte Aufarbeitung genau dieser Produkte ist es, die Martínez zu einem ungewöhnlichen Koch macht. Denn dem Unbekannten genau die Verarbeitung und Technik angedeihen zu lassen, die es benötigt, um sein gesamtes Aroma freizugeben, ist die eigentliche Herausforderung, der sich Martínez seit 2008 stellt.
www.centralrestaurante.com.pe

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