Die Küche der Zukunft

Alles beim Alten? Ganz und gar nicht. Wir blicken hinter die Kulissen der modernen Küche. 3 Trends, die derzeit prägen: Molekularküche, Succowell und Garen bei Niedrigtemperatur.
November 13, 2015

phpHKbhZ5Als Paul Bocuse vor vielen, vielen Jahren seine neu interpretierten Gerichte servieren ließ, flippte so mancher Gast aus. Aber nicht vor kulinarischem Vergnügen, sondern ob der sonderbaren Speisen, die da vor ihm lagen: saftiges rosa Fleisch (hä, wo ist denn meine Lieblingsfarbe Grau hingekommen?), bissfestes Gemüse, entstaubte Saucen.

Und heute? Gehört selbst auf einer Almhütte das Einmaleins des Großmeisters aus Lyon zum Standard. Und vermutlich werden in 10 Jahren auch die Trends von heute alte Hüte sein.

Molekular/Dekonstruktion

Unser Ansprechpartner zu diesem Thema ist der Grazer Patrick Spenger. Der Küchenleiter eines renommierten Gastrogroßbetriebes formuliert druckreif. So in etwa sprach der hoch motivierte Chef: „Früher wurde aktiv vor dem Gast gekocht, man flambierte und tranchierte auf Teufel komm raus. Die Lebensmittelforschung beschert uns heutzutage ein neues, spannendes Moment der Überraschung: es zischt, dampft und

phpHKbhZ5Als Paul Bocuse vor vielen, vielen Jahren seine neu interpretierten Gerichte servieren ließ, flippte so mancher Gast aus. Aber nicht vor kulinarischem Vergnügen, sondern ob der sonderbaren Speisen, die da vor ihm lagen: saftiges rosa Fleisch (hä, wo ist denn meine Lieblingsfarbe Grau hingekommen?), bissfestes Gemüse, entstaubte Saucen.

Und heute? Gehört selbst auf einer Almhütte das Einmaleins des Großmeisters aus Lyon zum Standard. Und vermutlich werden in 10 Jahren auch die Trends von heute alte Hüte sein.

Molekular/Dekonstruktion

Unser Ansprechpartner zu diesem Thema ist der Grazer Patrick Spenger. Der Küchenleiter eines renommierten Gastrogroßbetriebes formuliert druckreif. So in etwa sprach der hoch motivierte Chef: „Früher wurde aktiv vor dem Gast gekocht, man flambierte und tranchierte auf Teufel komm raus. Die Lebensmittelforschung beschert uns heutzutage ein neues, spannendes Moment der Überraschung: es zischt, dampft und brodelt wieder einmal am Tisch im Res­taurant. Damit fange ich nicht viel an: ich denke da an die altbekannte Übung mit Stickstoff, live vor dem Gast. Das ist doch nichts anderes als Frittieren mit Kälte! Für mich die wichtigste Forderung an einen kochtechnischen Modetrend: der Koch muss immer am Produkt bleiben!

Gratwanderungen bringen nichts, wenn dabei der Eigengeschmack abstürzt! Ich habe mich mit dem Thema der molekularen Küche schon auseinandergesetzt, als die Informationen darüber noch dünn gesät waren. Besonders zwei Produkte entsprechen zur Zeit meinen kulinarischen Vorstellungen. Kappa und Iota, rein pflanzliche Alginate. Um meinen Gast nicht zu überfordern und auch um in der Region zu bleiben, habe ich z. B. einen Tafelspitz mit Kernöldragee kreiert. Den Tafelspitz kennt man, das Dragee kommt auf einem Löffel extra dazu.“ Das Rezept: Aus Öl und Hühnerfond eine Emulsion bereiten, den Stabilisator dazu, in Kalziumlauge kalt abspülen. Außen fest, innen flüsssig, bei vollem Kürbiskernölgeschmack – das macht Sinn! „Iota ist ebenfalls ein Traumprodukt, rein pflanzlich und ohne irgendeinen Beigeschmack. Es dient mir zur Stabilisierung von Gemüse- bzw. Fruchtschäumen und ist verantwortlich für eine wunderbare Munderfahrung, die irgendwo zwischen geschäumter Sauce und Espuma liegt.“ Eine Schaumsuppe vom Hokaido-Kürbis für 500 Personen ist somit machbar, als wirkliche Schaumsuppe, nicht als dünner, sich zersetzender Saft.

„Laboreinrichtungen in der Küche à la Fat Duck sind nicht mein Ding. Mit einer Ausnahme: mich fasziniert die Technik, mit Unterdruck im Vakuum zu arbeiten. So lassen sich z. B. flüssige Aromen in feste Massen einarbeiten. Das dürfte z. B. schon ein sehr schmackhaftes Ergebnis liefern, wenn ich eine Steinpilzessenz in einem Steak unterbringe. Bei allem Getöse um die Molekularküche: In großen Teilen handelt es sich ja um eine simple Sache; um chemische Reaktionen, die Nahrungsmittel mit natürlichen, pflanzlichen Stoffen eingehen. Gewisse Aspekte, wie oben skizziert, werden sich sicher auch bei uns durchsetzen. Aber nur in einem kleinen Segment des Speisenangebotes.“

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Rainer Melichar ist ein Wahnsinn! 17 Stunden Arbeit pro Tag sind für ihn Standard, freie Tage kennt er nur vom Hörensagen und trotzdem strahlt er über das ganze Gesicht, als ich – berufsmäßig lästiger Inves-tigator – bei ihm aufkreuze. Bei ihm heißt im niederösterreichischen Traismauer, im Gasthaus/Hotel „Nibelungenhof“. Was ich an seiner Arbeitsstätte nicht vorfinde, sind hochtechnische Apparate, dafür Berge von Gemüse und Obst, Siebe, Passiertücher und als technische Krone des Inventars einen Champignonentsafter.

Mit diesem Equipment (es genügt aber auch eine handelsübliche Handkurbelpresse) spielt man mit in der Succowell-Liga – zusammen mit Edi Hitzberger (2 Sterne im schweizerischen Ftan), den Super-Heinzen Winkler, Hanner und Reitbauer, Hans Haas, Harald Wohlfahrt, Walter Eselböck, Jörg Wörther, den Köchen der MS Europa, dem „Magazin“ in Salzburg. Die seinerzeitige Idee war simpel, bis sie zur Seminarreife (und deren hält Rainer Melichar sehr viele) gelangte, dauerte es doch. Kochen mit Säften aus Obst oder Gemüse. Wie geht das? Lässt sich alles pressen? Wie kann ich Oxidation vermeiden? Ausgangspunkt für den sympathischen Dynamiker war z. B. die Überlegung, dass ein Vegetarier sehr oft keine rein vegetarische Suppe bekäme, da in diese ja eventuell Hühnerfond (igitt!) einfließen könnte. Und sollte Spargel nicht viel besser schmecken, wenn er in Spargelsaft gekocht/gedämpft würde? Und somit wurde das, was schon immer da war, nur neu entdeckt und kategorisiert.

Natur-Succo ist demnach der frisch gepresste Obst- oder Gemüsesaft. Steckt wenig Flüssigkeit im Ausgangsprodukt, wird mit exakt dosiertem Wasser nachgeholfen. Natur-Kraft-Succo ist der unfiltriert eingekochte Saft. Beim Fein-Succo wird der betreffende Saft kochend heiß filtriert, Fein-Kraft-Succo heißt der eingekochte Stoff. Sogar der Pressrückstand/Trester lässt sich noch zu Gemüsesalz oder -mehl verarbeiten und steckt dann in Brotteigen oder Ravioli. Am Beispiel Ananas lassen sich die Aggregatzustände der Frucht nach der Lehre Melichars auch so ableiten: als frischer Saft, Sorbet, Marmelade, Sirup. Und jedes Endprodukt entspricht dem Succowell-Motto: g’schwind, g’schmackig, g’sund.

Jetzt könnte man noch Querverbindungen zwischen den Succos andenken, Kreuzungen der Gemüsesorten, dazu die Salze – kein Wunder, dass Meister Melichar stark nachgefragt ist. Die Nahrungsmittelindustrie will mehr von ihm wissen, Produzentenvertretungen, Kantinen- und Haubenköche …

Garen bei Niedrigtemperatur

Ein paar Häuser weiter sorgt Thomas Dorfer, Küchenchef im Landhaus Bacher, für Gaumenfestspiele der unvergesslichen Art. Bei Stopfleber, Heilbutt, Beuschelravioli mit Calamari lässt sich famos über das Niedergaren plaudern. Auch die Schnitten von Rind und Kalb sprechen äußerst deliziös zum Thema Niedriggaren! Thomas definiert vorerst einmal: „Niedriggaren ist eine Methode, bei der Fleisch auf mittlerer bis niedriger Temperatur gegart wird. Konkret sprechen wir von Temperaturen zwischen 70 und 140 Grad Celsius.

Die Vorteile liegen auf der Hand bzw. im Fleisch: Die Zellstruktur des Bratgutes bleibt erhalten, der Fleischsaft bleibt dort, wo er sein soll – im Fleisch und nicht daneben. Voraussetzung für ein perfektes Ergebnis ist zunächst einmal die Fleischqualität: tiefgefrorenes Material hat keine Chance, ebenso nicht schlachtfrisches. Ein drei bis fünf Wochen gereiftes Rind dagegen ist prädestiniert für den Aufenthalt im lauwarmen Ofen. Fleischstücke mit kräftigen Muskeln – also etwa Hals oder Haxe – eignen sich ebenso wenig für diese Art der Zubereitung, wie Stücke mit kurzfasriger Struktur à la Reh und Kaninchen.“

Das zum Zeitpunkt der Recherche aktuelle Martini-Ganserl hat der Kochstar noch nicht dem Niedriggartest unterzogen. Er denkt aber über folgende Variante der Zubereitung nach: eine Stunde bei 150 Grad, dann nachtsüber bei 70. Wie überhaupt die Anfangstemperatur immer höher gewählt werden sollte: zum Starten 10 Minuten bei 140 Grad im Rohr – ergibt 30 Grad im Kern, sodann lauten die Referenzwerte 30/100/50 bzw. Restzeit 70/58. Eine Verweildauer von mehr als 3 Stunden hält nicht nur Thomas Dorfer für furchtbar, auch der professionelle Esser ärgert sich über Fleisch mit der Textur von Watte/Mousse.

Noch ein paar Tipps vom Meistergarer: ein gutes Digitalthermometer mit dünner Einstichspitze verwenden – das erspart die bekannte, unschöne Tranche mit dem Loch in der Mitte. Nicht mit Heißluft arbeiten, sondern mit gleichmäßiger Ober- und Unterhitze. Das Bratgut immer auf einen Rost/ein Gitterblech legen (Pfannen oder durchgängige Bleche sind ungeeignet) und keinesfalls mit Alufolie etc. abdecken. Hat das Backrohr die abgesenkten 70 Grad erreicht, kurz lüften. Zwecks Krustenbildung, die ja im Rohr nicht unbedingt stattfindet, steht als letzter Arbeitsgang vor dem Servieren immer das Nachbraten in heißer Butter (plus Aromaten) auf dem Programm. Last, not least – immer wieder die Temperatur kontrollieren und nachjustieren! Wir danken sakrisch.

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