Bullerei-Jubiläum: 10 Jahre Quatsch und Ehekrise

Tim Mälzer und Patrick Rüther ziehen Bilanz nach zehn gemeinsamen Jahren in der Bullerei.
August 5, 2019 | Fotos: Bullerei

In der Hamburger Bullerei knallen die Sektkorken und fliegen die Konfetti. Das Restaurant von Fernsehkoch Tim Mälzer und Multigastronom Patrick Rüther feiert sein zehnjähriges Jubiläum. Die beiden Geschäftspartner sind schon fast wie ein altes Ehepaar und erinnern sich an ihre ersten gemeinsamen zehn Jahre. Dass es dabei nicht ganz ernsthaft zugeht, wird Bullerei-Kenner nicht verwundern. 
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In der Hamburger Bullerei wird Geburtstag gefeiert. Die Gastro-Spaßvögel Patrick Rüther und Tim Mälzer in ihrem Element
Patrick, Tim, seit zehn Jahren führt ihr gemeinsam die Bullerei. Könnt ihr eure Aufgabenteilung beschreiben?
Tim Mälzer: Darf ich zuerst antworten?
Patrick Rüther: Du antwortest immer zuerst.
Mälzer: Ich mache alles, er kassiert ab.
Rüther: Erfolg besteht zu 10 Prozent aus Inspiration und zu 90 Prozent aus Transpiration. Tim ist maximal für die Inspiration zuständig. Ich bin für die Transpiration zuständig und halte mich daneben für echt inspirierend.
Mälzer: Lasst uns ein ernsthaftes Gespräch führen, bitte!
Rüther: Das wird nichts mit Dir. Aber ich kann es ja mal versuchen. 
Seid ihr miteinander befreundet?
Rüther: Wir sind keine besten Freunde.
Mälzer: Wir sind keine Freunde. 
Privat habt ihr noch nie ein Bier zusammen getrunken, heißt es.
Rüther: Selten.
Mälzer: Nie.
Rüther: Wir haben schon häufiger zusammen was getrunken, aber Tim ist kein Biertrinker.
Mälzer: Patrick, wir beide waren privat noch nie alleine was trinken. Kein Bier, kein Wein, nichts.
Rüther: Doch, aber da sind wir uns in die Haare geraten. In der Daniela Bar am Schulterblatt, gegenüber der Roten Flora.
Mälzer: Wie lange ist das denn her? Gab‘s da die Bullerei überhaupt schon?
Rüther: Es war kurz vor Eröffnung.
Mälzer: Da war ich in der Hochphase meines Saufens, da kann ich mich nicht mehr dran erinnern.
Rüther: Man darf in diesem Interview nur die Hälfte glauben. Und zwar meine Hälfte der Antworten. Als Freunde betrachte ich in meinem Leben vielleicht fünf Leute, da gehört Tim nicht dazu, das stimmt. Aber wir sind Kumpels, würde ich sagen. Geschäftspartner wäre zu nüchtern. Dafür haben wir zu viele Dinge gemeinsam durchgestanden. 
Und wie teilen diese Geschäftspartner nun ihre Arbeit auf? Passt dieses Bild: Bauch und Hirn?
Rüther: Quatsch.
Mälzer: Doch, da ist schon was dran.
Gas und Bremse?
Rüther: Wenn Tim den Laden hier alleine gemacht hätte, hätte er den Laden nach einem Dreivierteljahr gegen die Wand gefahren.
Mälzer: Ohne Patrick liefe ich Gefahr, längst pleite zu sein, aber ohne mich hätte Patrick gar kein Geld, das er verwalten könnte.
Rüther: Auf die Fragen bekommst Du von Tim keine ernsthafte Antwort, vergiss es.
Was wäre denn eine ernsthafte Antwort?
Mälzer: Tim ist bereit, für seinen Bauch mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Ich bin da etwas zögerlicher. Aber wenn wir wirklich Body und Brain wären, wäre alles viel einfacher, als es ist. Ich will auch ein bisschen Body sein, ich mache auch gern Scheiße, ich bin auch oft genug besoffen zur Arbeit gekommen.
Du wehrst dich dagegen, als Spießer hingestellt zu werden.
Rüther: Ich wehre mich dagegen, der Optimierer zu sein. Ich habe mal Jura studiert, aber ich arbeite bewusst nicht als Jurist, weil ich keinen Bock habe auf diesen Piesel-Scheiß. Das Problem: Neben einem so chaotischen Typen wie Tim ist man automatisch der Spießer. Der Optimierer. Derjenige, der sagt: „Digga, wir brauchen Struktur!“
Mälzer: Ich verrate jetzt mal was: Ich betreibe seit zehn Jahren ein Spiel. Ich liebe es, Dich auf die Palme zu bringen.
Rüther: Das klappt ja auch jedes Mal, Du Arsch.
Mälzer: 100 Leute von den 100 Leuten hier wissen, wer ich bin. 20 wissen, wer Patrick ist.
Rüther: 10. 
Ihr führt gleichberechtigt einen Laden, aber nach außen wirkt es manchmal so, als ob es allein Tims Laden sei, der Laden des Fernsehstars. Ist das ein Problem zwischen euch?
Mälzer: Wir haben Eheberatung gemacht.
Rüther: Es hat ein paar Mal geknirscht, ja. Jemand anderes mit meinem Intellekt und meinen Möglichkeiten hätte das nicht so lange mitgemacht. Aber letztlich sind wir schon ein geiles Team.
Mälzer: Unsere Partnerschaft ist anstrengend, mühselig, aber ich weiß genau, warum ich an ihr festhalte.
Rüther: Tim hat genauso Glück mit mir wie ich mit ihm.
Wenn ihr so weitersäuselt, bestelle ich drei Bier. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Rüther: Ich muss mal ein bisschen überlegen, wie ich das erzähle, ohne dass das eine Angebergeschichte wird. Für Angebergeschichten ist Tim zuständig. Ich hab‘ vor dem Rechtsreferendariat eine Zeit lang in Kapstadt gelebt, um noch meinen Master of Law zu machen.
Mälzer: Der feine Herr Jurist.
Rüther: Ich hab da mehr gelebt als gelernt, bin vor allem viel Essen gegangen. Das ist 19 Jahre her. In Kapstadt gab es damals geile Produkte und eine entspannte Art der Gastronomie. First-Class-Essen, aber die Kellner jung, cool, supernett. Und die Gäste in kurzer Hose und Flip-Flops. Das gab es in Hamburg noch nicht. Hier gab es entweder geiles Essen in spießigem Ambiente oder geile Läden mit maximal mittelmäßiger Karte.
Mälzer: Bis auf das Weiße Haus, das Restaurant, das ich damals an der Elbe hatte.
Rüther: Exakt. Tim hat dort die Art der Gastronomie ge- boten, die ich aus Kapstadt kannte. Anfangs war er noch kein Fernsehkoch.
Wie seid ihr ins Gespräch gekommen?
Rüther: Ja, wie kommt man mit Tim ins Gespräch? Indem er dummen Kram schnackt.
Mälzer: Patrick ist klischee-cool. Schanzen-Mainstream. Meine Coolness ist selbst entwickelt, meine Coolness muss ich lauter kommunizieren als Patrick. Ich stehe auf lautere Musik, buntere Farben, dickere Karren.
Rüther: Zurück in Deutschland, hab‘ ich an der Elbe den ersten Beachclub Hamburgs eröffnet, den Hamburg City Beach Club. Geplant hatte ich das als kleines, improvisiertes Projekt für eine Saison, ein Projekt mit Freunden, um den Kopf freizubekommen, bevor das Referendariat dann endgültig startet. Aber es war 2003, der Jahrhundertsommer, die heißeste Phase aller Zeiten in Hamburg, sechs Wochen durchgehend 30 Grad. Nach einer Woche brauchten wir einen Türsteher. 1000 Gäste am Tag. Das war magic, mit Fackeln überall, die Riesencontainerschiffe direkt vor der Nase, geil. Ich kriege heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Am Ende habe ich den Beachclub noch ein Jahr gemacht und noch ein Jahr und noch ein Jahr.
Und bist zum Feierabend dann immer rüber zu Tim?
Rüther: Entweder ich zu ihm oder er zu mir. Damals war er noch kein Fernsehkoch. Schon im Winter 2004 haben wir dann das erste Mal darüber gesprochen, ob wir nicht zusammen eine Gastro machen sollen. In Amsterdam gab es ein geiles Konzept, den Supperclub: Essen im Liegen, drum rum DJs, Modenschauen, richtig geil. Das hat uns inspiriert, das hätten wir gerne so ähnlich in einer Kirche in Eimsbüttel umgesetzt, die als Kirche aufgegeben werden sollte. Wir mussten tausend Kirchenleute überzeugen, dass so eine Nutzung keine Sünde ist: dekadentes Essen im Liegen, dazu der Lautsprecher Tim Mälzer. Und wir haben das tatsächlich geschafft. Aber am Ende ist es an den Nachbarn gescheitert. Die hatten Angst vor Lärm.
Nach welchen Kriterien habt ihr eine Location gesucht?
Rüther: Das Gebäude sollte etwas Besonderes sein. Charakter haben.
Mälzer: Eine Geschichte. Wir waren nie auf der Suche nach einem klassischen Restaurant. Wir haben eine Location gesucht, keinen Standort.
Rüther: Ich kannte irgendwann jede Location in Hamburg, die in Frage kam. Ich bin überall langgeradelt, ich hab mit allen geschnackt. Das Seaways-Terminal, der Ratsherrnkeller, das Haus der Patriotischen Gesellschaft, verrückte Hallen im Oberhafen – aus irgendwelchen Gründen hat es sich immer zerschlagen. Das war keine geile Zeit für mich damals. Es war lange unklar: Wo geht die Reise hin? Zumal Tim einen Burnout hatte. Er war ein erlebnisorientierter junger Mann, der sich die Hörner abstößt. Darauf die gesamte berufliche Zukunft zu setzen: das war schon riskant.
Dass ihr in der Schanze gelandet seid, war Zufall?
Rüther: Absolut. Wir waren beide keine Schanzentypen damals. Aber ich hab beim Rumradeln die Fläche gesehen – und die war geil. Total zugewuchert, aber geil. Und die wäre in einem anderen Stadtteil nicht weniger geil gewesen. Im Gegenteil: Es war klar, dass es ein Problemchen werden könnte, mit so einem großen Laden in die Schanze zu gehen.
Farbbeutel flogen an die Fassade. Kurz nach Eröffnung kamen an einem Samstagabend 20 schwarz vermummte Autonome ins Restaurant, mit Megafonen und Plakaten.
Mälzer: Ich war fein raus, weil ich credible war. Patrick war damals das Enfant terrible, der Herr Jurist.
Rüther: Bist Du bescheuert?
Mälzer: Es ging damals wirklich hoch her im Viertel.
Rüther: Wegen des Fernsehpromis Tim Mälzer. Damals war er noch bekannter als ich.
Mälzer: Wir sind in den Anfangstagen nach Feierabend immer noch rüber in die Dual Bar und haben da bis 4 Uhr morgens gesoffen. Die Bar gibt es leider nicht mehr. Es war eine geile Zeit, aber auch schmerzhaft. Es gab total viele doofe Momente: die Bullerei zu eröffnen, stolz darauf zu sein – und gleichzeitig zu wissen, manche Menschen hassen uns dafür.
Was war denn nun das Problem?
Mälzer: Gentrifizierung. Die Menschen hatten Angst, was mit dem Viertel passiert. Gentrifizierung ist ein schleichender, diffuser Prozess. Eine wabbelige Geschichte, schwer greifbar, schwer angreifbar auch. Und da war ich als Person erstmals ein konkreter Gegner hier im Viertel. Kein ominöser Investor, der anonym bleibt. Sondern ein Fernsehmensch, dessen Fresse jeder kennt. Im Nachhinein sind wir für die Kritik dankbar. Wir haben dazu gelernt, unser Weltbild wurde geschärft. 
Rüther: Die Kritik hat dazu beigetragen, dass wir hier im großen Maßstab soziale Dinge tun. Über die reden wir nicht, damit es nicht aussieht wie Greenwashing. Aber hätten wir unseren Laden in Eppendorf eröffnet, würden wir heute vielleicht weniger machen.
Mälzer: Wir haben genug Fingerspitzengefühl, um nicht alles rauszuposaunen, was wir tun. Das würde einigen hier schief reinfahren. Denn natürlich ist Gentrifizierung ein Problem in der Schanze, natürlich haben auch wir unbewusst einen Teil dazu beigetragen. Aber es hätte viel schlimmer kommen können für das Viertel. Wir sind das kleinere Übel, wir sind nicht aggressiv und wir sind semi-intelligent.
Wie seid ihr auf den Namen Bullerei gekommen?
Mälzer: Ich wollte den Laden so nennen, wie das hier früher hieß: Die alte Halle der Kälber und Versandschweine. Oder knapp: „Versand- schwein“.
Rüther: Ich fand das zu hart. Ethik, Tiere, Leben. Ich wollte es Laib und Seele nennen.
Mälzer: So was Pseudointellektuelles! Ich hab im Strahl gekotzt. Das ist wie der Friseur „Vier Haareszeiten“. Fuck off.
Rüther: Mea Culpa.
Mälzer: Unser gemeinsamer Favorit war lange „Die Farm“. Der Name sollte unser Nachhaltigkeitsideal transportieren. Da war Patrick damals sehr weit vorne.
Letztlich hat Bullerei das Rennen gemacht, eine dreifache Anspielung: auf die Location, auf Tims Spitznamen Küchen-Bulle, auf den Schimpf- und Spottnamen Bullerei für Polizei. Was war eure Vision für das Restaurant?
Rüther: Wir wollten unseren Lieblingsladen machen. Den Laden, in dem wir selber gerne Gäste wären.
Mälzer: Das klingt unfassbar beschissen, aber das bringt es auf den Punkt.
Und wie sah euer Konzept aus?
Rüther: Wir hatten kein Konzept. Wir sind beide „all in“ gegangen, mit all unserer Kohle, hatten aber keinen klaren Plan. Total irre.
Mälzer: Wir haben sehr schnell nach Eröffnung einen Preis gewonnen für das beste neue Gastronomiekonzept. Den Preisstiftern haben wir gesagt: Danke. Aber welches Konzept? Wenn ihr uns das erklären könnt, machen wir eine Kette draus.
Rüther: Wir wussten nur: Wir wollen einen Ort für jeden, ohne Schwellenangst. Hier kannst Du Deine Eltern zum Hochzeitstag hinschicken, aber auch eine rustikale Flensburger Handwerkerinnung auf Jahresausflug.
Seid ihr dafür nicht zu teuer?
Rüther: Wir sind nicht günstig. Aber gemessen an dem Aufwand, den wir fahren, sind wir günstig. Wir haben nur gelernte Köche, wir bereiten alles frisch zu, wir stecken sehr viel Geld in die Einrichtung. Was mich ärgert: Manche Gäste sehen das nicht.
Wenn hier überall weiße Tischdecken liegen und die Kellner ein Jackett tragen würden, wäre das anders?
Rüther: Exakt. Der Rotweintrinker mit dickem Bauch aus Wanne Eickel sieht nicht, dass der Tisch mit den Farbklecksen viel teurer ist als der Tisch mit Decke in seinem Restaurant zu Hause. Er kann die Codes nicht lesen. Vom Aufwand her sind wir ein Fine-Dining-Restaurant, aber wir sind locker. Genau darum geht es uns. Auch Michelin und Gault Millau verstehen das nicht.
Stört dich das?
Rüther: Ein klares Jein. Ich halte nicht viel von Gault Millau und Guide Michelin, weil sie oftmals die alte Welt verkörpern. Aber ich finde es schade, dass diese Leute nicht zu schätzen wissen, welchen Aufwand wir hier betreiben. Wir könnten es uns viel leichter machen, wenn wir uns auf Tims Promibonus ausruhen würden.
Was hat sich seit eurer Eröffnung 2009 in der Branche verändert? Waren Bewertungs- und Buchungsportale wie Yelp, TripAdvisor, Opentable damals schon so wichtig wie heute?
Rüther: Bei weitem nicht. Wer heute mit weniger als vier Sternen bewertet ist, den finden die Gäste nicht mehr. Das Ranking ist lebensnotwendig.
Lest ihr jede einzelne Kritik über euch?
Rüther: Ich hab das mal getan, aber heute nicht mehr, ich rege mich zu sehr auf. Wobei wir uns mit der Bullerei natürlich in einer etwas anderen Situation befinden als die Konkurrenz. Für uns sind die Portale nicht ganz so wichtig, weil wir noch in der analogen Medienwelt verankert sind.
Mälzer: Unser Tripadvisor bin ich.
Nutzt ihr auf Reisen selbst TripAdvisor, um Restaurants auszusuchen?
Mälzer: Im „Kitchen impossible“-Team haben wir uns vor zwei Jahren darauf geeinigt, nie in einem Laden zu reservieren, der unter den Top 25 bei Tripadvisor steht.
Warum nicht?
Rüther: Schau Dir die Top-Läden in Hamburg an. Die Hälfte kennt kein Mensch. Tripadvisor hat seinen Algorithmus nicht im Griff.
Mälzer: Wenn da auf Platz drei in Hamburg ein Restaurant steht, von dem wir als Profis noch nie etwas gehört haben, stimmt etwas nicht. 
Drehen wir den Spieß doch mal um: Ihr rezensiert die Gäste. Welcher Typ stört euch?
Mälzer: Ich mag keine Gäste, die reinkommen und sich sagen: „So, Tim Mälzer, jetzt testen wir Dich mal.“ Wer den Laden scheiße finden will, wird ihn scheiße finden. Wer mitmacht, wird einen guten Abend haben. Das ist wie bei einem Konzert. Man muss ein bisschen mitwippen. Und wenn einem Mitwippen nicht im Blut liegt, muss man sich halt einen ansaufen dafür. Dann wird es gut. Für einen selbst, für die Besucher neben einem, für die Leute vorne auf der Bühne.
Rüther: Ich mag keine Angeber. Arrogante Typen, die das Personal von oben herab behandeln und besserwisserisch überall ein Haar in der Suppe finden.
Mälzer: Schwarzes Sakko, weißes Oberhemd, Dreier-BMW, bisschen viel Koks in der Nase, die Lippen der Ehefrau ein bisschen zu dick. Die Klientel sorgt für geile Umsätze, aber die wollen wir hier nicht haben. Wir wollen gutes Geld verdienen, aber wir wollen authentisch und glaubwürdig dabei sein.
Rüther: Wir verdienen hier gutes Geld, aber wir könnten sicher mehr verdienen, wenn wir eine „Moët & Chandon“-Lounge einrichten würden und eine „Beck’s“-Ecke. Das kommt für uns nicht in Frage.
Mälzer: Wir beherrschen dieses Spiel auch einfach nicht. Das Grill Royal in Berlin ist ein Laden, der unserem nicht unähnlich ist. Aber die verkaufen pro Woche sicher 150 Flaschen Champagner. Wenn wir Glück haben, verkaufen wir die im Jahr.
Rüther: In den Anfangsmonaten hat Tim die Musik immer extra laut gedreht, damit die ganzen Schnösel sich nicht wohlfühlen bei uns.
Mälzer: Wir hatten am Anfang die übliche Posse hier. Kein Wunder, es kamen ja einige Komponenten zusammen: ein spektakulärer Raum, ein Fernsehkoch, der Ex-Betreiber des hippen Beachclubs. Zu dieser Posse gehörte der Junior einer Reederei, ein Pfosten vor Gottes Gnaden, immer geile Weiber am Start, klar, aber dumm wie Schifferscheiße. An einem Abend streckte er mir die Hand entgegen und sagte: „Ich bin jetzt schon zum fünften Mal hier, aber Du hast mir noch nie persönlich ‚Guten Tag‘ gesagt.“ Ich hab die Hand angeschaut, dann ihn und habe gesagt: „Frag Dich mal, warum.“ Dann hab ich mich umgedreht und bin gegangen.
Das war mutig.
Mälzer: Das war vielleicht auch dumm, sicher war es grenzwertig. Wir haben sehr straighte Ansagen gemacht zu der Zeit. Ich erinnere mich noch an den Abend, an dem ein bekannter Hamburger Architekt nebst Investor hier war. Die Hütte war bumsvoll, Samstagabend viertel vor acht. Aber die beiden wollten den besten Tisch. „Es wird doch wohl möglich sein, uns an einen guten Tisch zu setzen! Wissen Sie denn nicht, wer wir sind?“ „Ich weiß, wer ich bin. Ich bin Koch, kein Tischler.“
Die Namen soll ich vermutlich nicht schreiben.
Rüther: Die kommen eh nie wieder.
Mälzer: Das ist die Stärke der Bullerei. Wir sind im positivsten Sinne des Wortes Mainstream, unsere Gäste sind angenehm durchschnittlich.
Rüther: Die Menschen da draußen verstehen nicht, wenn Du sagst, wir seien Mainstream. Unsere Einrichtung, unsere Mitarbeiter, unsere Produkte: All das ist das Gegenteil von Mainstream. Aber wir machen nicht auf dicke Hose. Wir haben der Presse zum Beispiel noch nie erlaubt, hier abends Fotos zu machen. Egal, wer hier war. Boris Becker. Jogi Löw. Til Schweiger.
Wieso nicht?
Rüther: Wir finden es assig. Wir wollen nicht, dass die Promis hier heimlich abgeschossen werden, aber erst recht wollen wir nicht, dass sie sich hier gezielt abschießen lassen. Das stört andere Gäste.
Ernsthaft? Das Restaurant eines Promikochs, das Promis nicht hofiert?
Rüther: Wir behandeln Prominente gut, genauso gut wie alle anderen Gäste, aber wir bieten ihnen keine Plattform, sich als prominent zu inszenieren. Manche Promis mögen gerade das. Philipp Seymour Hoffmann, Gott hab ihn selig, war vier Abende hintereinander hier, als er in Hamburg gedreht hat. Der wollte am Rand sitzen, der wollte nicht, dass die „Bild“ ihn fotografiert. So etwas schätzen wir. Justin Bieber hingegen hat vorher gesagt, er wolle unauffällig am Rand sitzen, aber dann ist er mit Limousinen und fünf Leibwächtern und einem Riesenaufwand eingeritten, damit auch wirklich jeder sieht, dass er da ist. 
Lasst uns einen Hamburger Gesinnungstest machen: St. Pauli oder HSV?
Rüther: Pauli.
Mälzer: HSV.
Rüther: Pauli steht für Weltoffenheit, Kreativität, Vielfalt, der HSV doch eher für alte Bräsigkeit und dicke Bäuche, Zigarren und Rotwein.
Mälzer: Ich mag St. Pauli, die Stimmung im Stadion und im Stadtteil, auch die Haltung des Vereins. Aber das erste Stadion, in dem ich als kleiner Junge mit meinem Vater war, war das Volksparkstadion. Der HSV war damals der Verein, für den man war hier im Norden. Der coole Verein. Nur weil das jetzt anders ist, lasse ich mir das nicht ausreden. Ich bin kein Wendehals.
Rüther: Es gibt keinen HSV-Fan mit dreistelligem IQ, der erst als Erwachsener HSV-Fan geworden ist. Zumindest nicht in den letzten fünf Jahren.
Mälzer: Ich bin HSV-Fan, weil es Spaß macht, damit Menschen wie Patrick zu provozieren.
Rüther: Im tiefsten Inneren würde Tim viel eher zu Pauli passen, aber das kann er nicht, weil er das Proletenimage pflegen muss. Aus der Assi-Nummer kommt er nicht raus.
Mälzer: Großes Stadion, dickes Konto. Wir sind die Bayern der zweiten Liga.
Alster oder Elbe?
Rüther: Elbe. Die Elbe ist viel rougher, die Hafencontainer, die Kräne, der weite Blick. Meeresduft und Möwen.
Mälzer: Elbe.
Rüther: Tim sagt Elbe, hat aber ein Restaurant an der Alster.
Ihr habt beide noch ein zweites Restaurant in Hamburg: Tim die Gute Botschaft an der Alster, Patrick das Überquell am Hafen. Wieso macht ihr die Restaurants alleine?
Mälzer: Es gehört zu einer guten Partnerschaft dazu, dem anderen Freiräume zu lassen. Das stabilisiert die Beziehung. Aber es ist nicht so geil, wie ich gedacht hatte. Das Regulativ fehlt, das Nervige fehlt. Das muss ich ehrlich sagen.
Rüther: Da ist auf eine Art was dran.
Mälzer: Ich investiere das Geld manchmal ohne Sinn und Verstand. 
Was unterscheidet die Gute Botschaft von der Bullerei?
Mälzer: Tatsächlich die Alster. In der Guten Botschaft rebelliere ich gegen das Bild, das die Öffentlichkeit von mir hat. Meine Sehnsucht ist: mehr Anerkennung in der gehobenen Liga.
Was kannst du im Überquell machen, was hier nicht ginge, Patrick?
Mälzer: Den Chef spielen.
Rüther: Mich vernünftig und erwachsen mit meinem Geschäftspartner unterhalten.
Mälzer: Patricks Sehnsucht ist: mehr Credibility in der roughen Szene. Credibility habe ich, weil ich ein Assi bin. Deshalb muss ich im Überquell nicht mitmischen.
Kannst du kochen, Patrick?
Rüther: Ja, aber ich mach’s super selten.
Mälzer: Patrick lebt in einem Ottolenghi-Haya-Molcho-Haushalt, Karotten mit Kreuzkümmel, ein bisschen Couscous. Wenn Du bei ihm zum Essen eingeladen bist: Iss was vorher!
Rüther: Tim war genau ein Mal bei mir zu Hause.
Mälzer: Lass mich das so beschreiben: Patrick ist Agavendicksaft, ich bin Zucker.
Rüther: Auf eine Art mag das stimmen. Das ist der Unterschied zwischen Pauli und HSV, Agavendicksaft und Industriezucker.
Mälzer: Ich hab einen der wenigen Hamburger Haushalte, in dem es noch eine Zuckerdose gibt, auf der auch Zucker drauf steht. 
Wenn ihr essen geht: Geht ihr dann schon mal in die Restaurants der anderen Hamburger Fernsehköche?
Rüther: Ich gucke keine Kochsendung im Fernsehen, aber die Restaurants der meisten Hamburger Fernsehköche sind top.
Mälzer: Ich finde, dass Hamburg die Stadt mit den geilsten Fernsehköchen ist. Tarik Rose, Fabio Haebel, Patrick Gebhardt, Stefan Henssler, Christian Rach.
Wie wird sich die Bullerei in den nächsten zehn Jahren verändern? Was habt ihr vor?
Rüther: Auch wir werden uns dagegen wehren müssen, ein etablierter Laden zu werden. Wir sind beide älter geworden, wir haben beide Familie. Es wird nicht einfach.
Mälzer: Wir sind keine Rookies mehr, aber die Flamme ist noch da. Wir haben es gerade erst geschafft, das beste Gericht der Bullerei-Geschichte zu kreieren, im zehnten Jahr! Ein Ei, darüber Kartoffelpüree mit Butterbröseln, darüber warme Mayonnaise, darüber ein bisschen Kaviar für die Salzigkeit. Sensationell! „Russisches Ei“ heißt es. Das fickt Deinen Gaumen. www.bullerei.com

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