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Was haben Beilagen-Esser, Beutelreis-Kocher und Hauptsache-Dagegen-Seier gemeinsam? Sie alle haben im echten Leben zu wenig wertvolles zu sagen. Deshalb sagen sie es – leider – auf facebook.
November 13, 2015

Stephanie FuchsDamals – lange bevor die Menschen damit anfingen, sich virtuelle Persönlichkeiten zuzulegen, das persönliche Gespräch uncool wurde und die Zurschaustellung unterernährter, persönlichkeitsbefreiter und von einer gewissen Frau Klum höchstpersönlich ausgepeitschter Kleiderstangen als Bildungsfernsehen durchging – wusste man sich
zu helfen, wenn’s mal wieder nicht so gut lief. Wenn man vom Chef eins auf die Mütze bekommen hatte, der Fiskus mehr Geld wollte, die Ehefrau das mit der Geliebten rausbekommen hatte oder man einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden war. Man nahm ein Telefon in die Hand, rief seine Freunde an, traf sich im Stammlokal, kotzte sich aus, lachte oder trank die Miesepetrigkeit weg – und gut war’s. Das ist heute anders.

Wenn dem modernen Menschen heute was nicht passt, dann postet er seine schlechte Laune auf Facebook. Wir geben ja heute gewohnheitsmäßig zu allem unseren Senf dazu, unabhängig davon, ob es uns betrifft oder wir dazu überhaupt irgendetwas Qualifiziertes sagen können. Ist ja auch viel einfacher, sich mit der gerade aktuellen Lieblingspersönlichkeit hinter pseudo-intelligenten Wall-Posts zu verstecken und das Leben und Tun anderer Leute zu kommentieren, wie es einem gefällt. Ein Bildschirm hat ja auch kein Gesicht mit Augen, in die man blicken muss, wenn der Satz „Ich find dich scheiße“ einem entfleucht. Einige Themen werden am Stammtisch 2.0 besonders inbrünstig von Pseudo-Experten aller Arten diskutiert.

Speis und Trank, etwa. Da watschen sich die Tofu-Esser und die bekennenden Fleisch-Fetischisten gegenseitig ab. Da kratzen sich Müsli-Mütter und Kaviar-Mamas gegenseitig im Namen ihrer Sprösslinge die Augen aus. Da schreien schwarz-bunt gefärbte Meinungsopportunisten und selbst ernannte Lebensmittelethiker am lautesten „Bio!“, ertragen aber den Anblick eines frisch geschlachteten (glücklichen) Schweins nicht und verfrachten im echten Leben stets das günstigste Stück vom Tier in den Einkaufswagen. Und da sehen sich Leute, die maximal (Beutelreis-)Kocher, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Köche sind, dazu veranlasst, ihre schlechte Laune, ihren fehlenden Mut und ihre offensichtlich fehlende Kompetenz zu übertünchen, indem sie über jene herziehen, die es besser machen. Ist das Neid?

Oder Frust? Oder ist es einfach schick, aus Prinzip dagegen zu sein? Also: All jenen, die sich nun angesprochen fühlen, seien ein paar gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg gegeben. Erstens: Über Geschmack lässt sich streiten, aber so viel Aufregung um eine Sache, zu der man mangels Erfahrung nichts zu sagen weiß außer „Der Tellerrand gehört dem Gast!“, ist ganz schlecht für’s Karma. Zweitens: Wir leben in einem freien Land, jeder ist also herzlich dazu eingeladen, seine Kochkünste unter Beweis zu stellen. Gerne bei einem Bewerb wie den JUNGEN WILDEN. Einfach mal drei hammermäßige Gänge in vier Stunden raushauen und damit die Jury überzeugen.

Und drittens: Echte Sozialkontakte rocken. Mit echten Freunden kann man besser reden, besser motzen, sich besser entspannen. Und wer das alles nicht will, kann sich den Grant ja auch einfach weg-kochen – und dabei vielleicht so gut werden wie die, über die es sich so vortrefflich lästern lässt. Am Ende des Tages gibt es dann hoffentlich mehr gute Köche. Und mehr Menschen, die Diskussionen im Netz mit ihren Kommentaren bereichern, nicht einfach nur sabotieren. Das tun nämlich nur Warmduscher, Bonsaisammler und Beilagenesser.

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