Charly Schillinger: Gemüse ist sein Fleisch

Charly Schillinger entspricht so gar nicht dem Klischee eines Veganers. Wie der Gastronom mit seinen Fleisch-Illusionen die Branche aufmischt.
September 1, 2016 | Text: Marion Wolf | Fotos: Claudio Martinuzzi, Arnold Poeschl, Harald Artner, photokino – Roland Voraberger

Vegane Wirtshausküche

„Das ist Blasphemie“, wetterte der Pfarrer im idyllischen Großmugl im Bezirk Korneuburg in Niederösterreich einst. Das war Ende der1980er-Jahre, als Charly Schillinger und seine Mutter Anna beschlossen, Fleisch von der Karte des traditionellen Gasthauses zu verbannen, das die Familie in siebter Generation betreibt.

Charly Schillinger als veganer Metzger

 

Vegane Wirtshausküche

„Das ist Blasphemie“, wetterte der Pfarrer im idyllischen Großmugl im Bezirk Korneuburg in Niederösterreich einst. Das war Ende der1980er-Jahre, als Charly Schillinger und seine Mutter Anna beschlossen, Fleisch von der Karte des traditionellen Gasthauses zu verbannen, das die Familie in siebter Generation betreibt.

Was war passiert? Wie früher üblich gehörten auch bei den Schillingers Hausschlachtungen zum Alltag. „Da war ich nie anwesend. Ich hab immer die eigenen Schweine nicht gegessen, fremde aber schon“, beschreibt Charly Schillinger seine komische Schizophrenie auf dem Weg hin zum Vegetarier und später Veganer. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters im Jahr 1987 stand für Mutter und Sohn fest: Bei ihnen werden keine Tiere mehr getötet. Step by step stellten sie den Betrieb auf vegetarische Küche um. Fortan landeten Grünkernlaibchen, Bulgur- und Gemüseauflauf auf der Karte, wie in den wenigen rein vegetarischen Restaurants auch. Mit mäßigem Erfolg. Denn das lockte keine Großstädter nach Großmugl.

Ich kann eine vegane gebratene Ente machen, die Fleisch­essser nicht mehr von einer normalen unterscheiden können.
Charly Schillinger spielt mit der Illusion von Fleisch

Bis um 1990 die Initialzündung kam – ausgelöst durch Charly Schillingers Fleischeslust. „Dann hab ich mal wieder Heißhunger nach diesem Fleisch gehabt, das mir als fleischessendem Wirtshausbuben abgegangen ist. Da hat meine Frau gesagt, sie probiert mal was“, beschreibt der Gastronom den kulinarischen Zwiespalt, in dem er sich befand. Guten Fleischersatz wie Würstchen oder Tofu gab es zu der Zeit nicht. Dass es Irene Schillinger, studierte Politikwissenschaftlerin mit einer ausgeprägten Affinität für chemische Zusammenhänge, gelang, auf Glutenbasis ein veganes Cordon bleu herzustellen, glich einer Offenbarung. „Da wussten wir genau, dass es in die Richtung gehen wird.“ Surschnitzerl, Backhendl, Kotelett aus der Pfanne, Wildragout, Mugler Gulasch – die Karte des Schillinger liest sich heute wie der Himmel der deftigen Wirtshausküche. Die Fleischersatzprodukte seien inzwischen so gut, dass die beiden Wirte teilweise Fleischesser täuschen können. „Ich kann eine gebratene Ente machen, die sie nicht mehr unterscheiden können, wenn sie klein geschnitten ist“, macht Charly Schillinger den Erfolg seiner Küche auch bei Nicht-Vegetariern aus. Zwei Drittel seiner Gäste. Viele Vegetarier und Veganer kommen inzwischen von weit her, auch aus dem Ausland.

Charly Schillinger als veganer Metzger

Vom Broker zum Vorzeige-Veganer

Die Geschichte von Charly Schillinger ist die eines Wirtshausbuben, der eigentlich Mathematik studieren wollte, dann aber eine Koch- und Kellnerlehre im Familienbetrieb machen musste, um als Erstgeborener das Erbe weiterzuführen. Was er über einen Umweg heute auch – jedoch mit seiner eigenen ethisch begründeten Philosophie – tut. Denn über zehn Jahre machte Schillinger als Broker und Fondmanager im Zahlenbusiness schlechthin Karriere – wie er es sich einst als junger Sonnyboy erträumt hatte. Bis zu jenem Tag Anfang der 2000er-Jahre: „Ich bin da gesessen und hab eine offene Position von 16.000 Dollar beobachtet und da hat meine Frau geschrien: ‚Bitte hilf uns, die Mama und ich brauchen dich in der Küche.‘ Ich hab dann schnell 20 Salate angerichtet. Da war klar, ich musste mich entscheiden, entweder ich richte jetzt Salate an oder eben nicht“, und damit stand für ihn fest, der Weg führt zurück in die Gastronomie. Seit 2003 ist Charly Schillinger Vollblut-Wirt und dazu einer, der sich mit Zahlen auskennt wie nur wenige in der Branche.

Vor eineinhalb Jahren haben die Schillingers ihren zweiten Cou gelandet: das vegane Burgerkonzept Swing Kitchen mit aktuell zwei Standorten in Wien. Einstieg in die Systemgastronomie und Ausstieg aus der Misere, qualifiziertes vegan kochendes Personal für den Restaurantbetrieb zu finden. Ursprünglich wollten die beiden Wirtsleute ihr Konzept aus Großmugl nach Wien transportieren, entschieden sich dann aber dafür, eines ihrer beliebtesten Gerichte, ihre Burger, auszugliedern und dadurch multiplizierbar zu machen.

Mehr als Gemüsebratling und Grünkernlaibchen

Ein Problem, das die Schillingers wie andere vegane Betriebe am Markt kennen, ist die Verfügbarkeit der Waren. „Das sind meistens kleine Firmen, bei denen du nicht die Gewährleistung hast, dass die Ware konstant ist. Oder es passiert auch, dass ein Produkt, an das man sich gewöhnt hat, ausgegliedert oder umgebaut wird.“ Darauf haben Großhändler wie Metro reagiert und seit etwa eineinhalb Jahren ihr veganes Sortiment ausgebaut und angepasst.Produkte wie seine Pommes frites oder veganen Nuggets kann Schillinger direkt über Metro beziehen. Für seine veganen Pattys hat er die Rezeptur selbst entwickelt und lässt sie über einen Nahrungsergänzungsmittelbetrieb produzieren. „Das ist ein Sojagranulat mit diversen Gewürzen und einem Weizeneiweiß, damit es auch fasrig wird. Und Röstzwiebeln, um die Deftigkeit herauszuholen“, muss für den Vegan-Gastronomen bei Fleischersatz nicht das Klischee von Gemüsebratling oder Grünkernlaibchen herhalten.

Wachsen mit Franchise

Viel Geschmack und Gemüse statt Zucker und leerer Kalorien gepaart mit lässigem Retro-Ambiente – das Swing-Kitchen-Konzept geht auf. 3500 bis 4000 Euro spült der Laden in der Schottenfeldgasse täglich in die Kassen. Jahresumsatz: 1,5 Millionen Euro. Und das, obwohl sich rund um die zwei veganen Fast-Food-Shops mit McDonald’s, Burgerista und Le Burger die Konkurrenz dicht drängt – und das Geschäft offensichtlich belebt. Trotz des Erfolgs wollen Irene und Charly Schillinger nicht mehr als drei Filialen selbst betreiben. „Es könnten mehr werden, budgetmäßig geht sich’s gut aus. Für die Banken ist es auch leicht, uns zu finanzieren.

Aber unser Fokus liegt schon auf Franchise. So würden wir gerne wachsen“, plaudert der Finanzexperte über die weiteren Pläne. Drei Mitarbeiter haben über ein Jahr hinweg das 1800 Seiten starke Vertragswerk ausgearbeitet, beraten von einem Franchise-Experten, der schon für Riesen wie McDonald’s Deutschland und Vapiano tätig war. Da könne ihnen keiner was vormachen. Konkrete Anfragen aus der Schweiz und Holland gibt es bereits. Im Oktober wird ein ehemaliger Mitarbeiter in der Shopping City Süd die dritte Swing Kitchen eröffnen. Charly Schillingers persönlicher Traum: noch ein eigener Standort mit dem Charakter eines Flagstores – um die vegane Revolution weiter voranzutreiben.

www.schillinger.co
www.swingkitchen.com

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