Ich heiße Adrià, Albert Adrià

2013 gilt Albert Adrià als der meistunterschätzte Koch der Welt. Das einst beste Restaurant der Welt, das elBulli, und sein großer Bruder Ferran Adrià werfen lange Schatten. Wie ­Albert seinem Nachnamen seine eigene Bedeutung gibt und ­warum er dafür fünf Restaurants in einem Jahr eröffnete.
November 3, 2017 | Text: Nina Wessely | Fotos: Claudio Martinuzzi, Werner Krug, Moisés Torne Biayna, Pepo Segura

„Der König ist tot, lang lebe der König“, mit diesen Worten schließt Albert Adrià 2013 sein Restaurant 41° in Barcelona. Seine Spielwiese für 16 Gäste, auf der die Grenzen der Gastronomie ganz nach Adrià-Manier ausgelotet werden. Übrig bleibt das angrenzende Restaurant Tickets, in dem die Vida Tapa zelebriert wird. Natürlich auch nicht, ohne dass jeder Handgriff bis aufs Letzte hinterfragt und abgeändert wird, sollte er als zu unkreativ bewertet werden.

Albert Adrià

2013 gilt es, die Kräfte neu zu bündeln. Albert Adrià hat viel vor in der Avenida Parallel, in der sich das Restaurant Tickets befindet, und in den Straßen, die daran angrenzen. 2013 ist es fünf Jahre her, seit er das Restaurant seines großen Bruders, das elBulli, verlassen hat, sich eine Auszeit zur Geburt seines Sohnes Alex genommen und ein gefeiertes Meisterwerk-Buch der Pâtisserie „Natura“ veröffentlicht hat. 2011 tritt Albert Adrià mit der Eröffnung des Tickets in Barcelona mit einem großen Plan in der Tasche wieder auf das gastronomische Parkett.

„Ich habe mich angeschissen vor der Eröffnung. Die Leute erwarteten ein elBulli in Barcelona“, so der heute 48-jährige Katalane. Das war natürlich nie der Plan, auch nicht, ein ganzes Viertel mit dem Namen Adrià zu versehen, wie es heute mit dem BarriAdrià dann doch geschehen ist. Kreieren, erschaffen, neue Wege beschreiten, das war und ist der Antrieb aller großen Köche, und nicht Sterne oder Gastroimperien zu bauen, ist sich der große Bruder Ferran Adrià sicher.

Nur wie geht man es an, wenn, egal, was man angreift, immer der Schatten des Nachnamens schon da ist? Im Fall von Albert Adrià auf Zeit setzen. Und diese für sich nutzen. Zuschlagen, indem man in einem Jahr nicht eines, sondern gleich fünf Restaurants eröffnet. Warum das Ganze? „Das ist eine gute Frage“, entgegnet Albert Adrià. Es hat offensichtlich so sein sollen. Er war bereit. Und so folgten auf das Restaurant Tickets, das im Jahr 2011 eröffnete, 2014 zuerst Bodega 1900, daraufhin Pakta, Hoja Santa und Niño Viejo. Enigma, die Reinkarnation von 41° sollte entgegen den Erwartungen des Kreativgenies noch einige Zeit für sich in Anspruch nehmen…

„Der König ist tot, lang lebe der König“, mit diesen Worten schließt Albert Adrià 2013 sein Restaurant 41° in Barcelona. Seine Spielwiese für 16 Gäste, auf der die Grenzen der Gastronomie ganz nach Adrià-Manier ausgelotet werden. Übrig bleibt das angrenzende Restaurant Tickets, in dem die Vida Tapa zelebriert wird. Natürlich auch nicht, ohne dass jeder Handgriff bis aufs Letzte hinterfragt und abgeändert wird, sollte er als zu unkreativ bewertet werden.

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2013 gilt es, die Kräfte neu zu bündeln. Albert Adrià hat viel vor in der Avenida Parallel, in der sich das Restaurant Tickets befindet, und in den Straßen, die daran angrenzen. 2013 ist es fünf Jahre her, seit er das Restaurant seines großen Bruders, das elBulli, verlassen hat, sich eine Auszeit zur Geburt seines Sohnes Alex genommen und ein gefeiertes Meisterwerk-Buch der Pâtisserie „Natura“ veröffentlicht hat. 2011 tritt Albert Adrià mit der Eröffnung des Tickets in Barcelona mit einem großen Plan in der Tasche wieder auf das gastronomische Parkett.

„Ich habe mich angeschissen vor der Eröffnung. Die Leute erwarteten ein elBulli in Barcelona“, so der heute 48-jährige Katalane. Das war natürlich nie der Plan, auch nicht, ein ganzes Viertel mit dem Namen Adrià zu versehen, wie es heute mit dem BarriAdrià dann doch geschehen ist. Kreieren, erschaffen, neue Wege beschreiten, das war und ist der Antrieb aller großen Köche, und nicht Sterne oder Gastroimperien zu bauen, ist sich der große Bruder Ferran Adrià sicher.

Nur wie geht man es an, wenn, egal, was man angreift, immer der Schatten des Nachnamens schon da ist? Im Fall von Albert Adrià auf Zeit setzen. Und diese für sich nutzen. Zuschlagen, indem man in einem Jahr nicht eines, sondern gleich fünf Restaurants eröffnet. Warum das Ganze? „Das ist eine gute Frage“, entgegnet Albert Adrià. Es hat offensichtlich so sein sollen. Er war bereit. Und so folgten auf das Restaurant Tickets, das im Jahr 2011 eröffnete, 2014 zuerst Bodega 1900, daraufhin Pakta, Hoja Santa und Niño Viejo. Enigma, die Reinkarnation von 41° sollte entgegen den Erwartungen des Kreativgenies noch einige Zeit für sich in Anspruch nehmen…

Verschiedene Konzepte, eine Handschrift

Und so kam es, dass bis zur oft verschobenen Eröffnung des Enigma im Januar 2017 der Tapas-Küche des Tickets ein Stern verliehen wurde, dem folgte das Nikkei-Restaurant Pakta mit einem Michelin-Stern und schließlich Hoja Santa, der Mexikaner, über dem nur ein Jahr nach der Eröffnung der Stern glänzte. „Es ist ganz klar, dass Paco mehr will“, so Albert Adrià über seinen Chefkoch im Hoja Santa.

Schließlich ist dieser mit Sack und Pack von Mexiko nach Barcelona gezogen, um hier mit Albert Adrià der mexikanischen Küche zu ihrem richtigen Ruf zu verhelfen. Nämlich dem einer inspirierten Küche mit großartigen Produkten und jahrhundertealten Traditionen, deren Berechtigung man versteht, hat man sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Nicht anders ergeht es einem im Restaurant Pakta. Hier führen Jorge Muñoz und Zetkin Lian Chung das Ruder.

 

Ebenso seit Anbeginn an Albert Adriàs Seite. „Nikkei, das ist die Küche, die sich ergeben hat durch die japanischen Einwanderer, die in Peru eine neue Heimat gefunden haben“, so Adrià. Übersetzt bedeutet Nikkei „zu Hause fern von zu Hause“, und eine weitere Heimat fernab von zuhause gibt es nun also auch in Barcelona, im Restaurant Pakta. 450 Meter vom Restaurant Tickets entfernt gelegen.

Zwischen bunten Webrahmen und Polsterbezügen, warmen Holztönen und Maiskolben als Deko speist man hier „Seegurken-Nigiri mit ume shoyu und Shiso“ und „Bouchon-Muschel-Tiradito mit Codium und geräucherter Kokosnuss“. Teils von der Küche aus geliefert und teils als Gruß von der offenen Sushi-Theke im vorderen Part des Restaurants.

Der Gast ist mittendrin. Mittendrin in dieser perfekten Adrià-Inszenierung und doch authentischen Nikkei-Küche, zu der man Sake und Stäbchen reicht. Pakta und seine Konsorten liefern Spaß und Inspiration. Adrià: „Jedes Restaurant hat seine ganz eigene Sprache – ist ein eigenes Genre. Wie im Film. Nur mit demselben Regisseur.“ Macht Sinn. Schon überhaupt, wenn man bedenkt, dass Albert Adrià, wenn er nicht Koch geworden wäre, sich gerne als Filmemacher versucht hätte. Jetzt gibt es dafür filmreife Inszenierungen – Sets, die jeder besuchen darf. Je nachdem, wonach einem der Gaumen steht. Soll es beispielsweise eine Beisel-Erfahrung wie schon vor 100 Jahren nach Barceloner Art werden, so ist man bei Ferran Soler in der Bodega 1900 richtig.

Hier wird dem Wermut, dem Ingetränk rund um die Jahrhundertwende, zu seinem Recht verholfen. Die Stunde des Wermuts, wie sie damals schon gefeiert wurde, wird hier streng eingehalten und mit Eiswürfeln, aus denen ein 1900 auftaucht, sobald sie der Wermut berührt, zelebriert. Dazu gibt es Oliven-Sphären – denn was wäre Adrià ohne die schon kultige Olivensphäre wie damals im elBulli? –, Anchovis und Herzmuscheln. Das passt am besten zum Wermut, ist man sich in der Bodega 1900 sicher; bestätigen auch die vielen lachenden Gesichter der Besucher der Bodega, die als Sofortbilder von den alten Holzbalken lachen. Wer genau hinsieht, kann darunter auch Herausgeber Jürgen Pichler und die ROLLING PIN-Crew entdecken.

Geht man über die Straße – also in etwa ein Kirschkernweitspucken entfernt –, erreicht man das Restaurant Tickets. Hier wird Unterhaltung großgeschrieben, beziehungsweise schreien es einem der von der Decke hängende schwarze Mann, der überdimensionale Petits-Fours-Wagen oder die Theke, wo geschätzte 1000 goldene Winkekatzen genau das tun, wofür sie gemacht wurden, entgegen. Hinter der Theke, von der Tomaten hängen, steht Fran Agudo.

Chefkoch im Etablissement und verantwortlich dafür, dass Gerichte wie „Foie gras, Mais und Lakritze“ sowie „Tomaca mit Basilikum-Öl, aufgeblasene Quinoa und Tomatenkern-Vinaigrette“ die Tomatenmarke korrekt passieren. In dem Raum, in dem bis 2013 die acht Tonnen schwere Bar des 41° Grad stand, hängen jetzt Erdbeeren von der Decke und Gerichte wie „Eingelegte Feigen mit Feigenblatt-Eis und gefriergetrockneten Feigen“ gehen über den Dessertpass.

Schließlich begann Albert Adriàs Aufstieg als Pâtissier. Und daher sucht man in Albert Adriàs Restaurants vergeblich nach Desserts, die wie sonst mancherorts stiefmütterlich kreiert wurden. Nein, hier zeigen Eis aus Sojasauce und Co., was gelungene Desserts fertigbringen. „Wir haben es perfektioniert“, sagt Albert Adrià über das Eis, in das er während des Interviews beißt. Denn nur weil Kamera und Mikrofon auf ihn gerichtet sind, heißt das nicht, dass der Tag im BarriAdrià nicht seinem normalen Verlauf folgen muss. Adriàs Stimme wird dabei ganz sanft. Als wäre er verliebt in dieses Eis. Was er ja auch ist.

Genauso wie in die Gastronomie und alles, was sie mit sich bringt. Zwischen dem Treiben, das sechs Restaurants und Projekte außerhalb Barcelonas, wie beispielsweise die Kunst-Musik-Food-Inszenierung „Heart“ auf Ibiza oder die sich gerade noch auf dem Zeichenbrett befindliche spanische Food-Halle in New York, mit sich bringen, ist das leicht zu übersehen. Und doch ist es der Motor, der Albert Adrià antreibt. Sein Nachname dürfte ihm dabei eigentlich ganz egal sein. Schatten hin oder her. Wobei er sich schon sehr über die Anerkennung als Pâtissier des Jahres der S.Pellegrino-Liste im Jahr 2015 gefreut habe, so der Sternekoch.

Auch wenn das kein Ziel war. Ziel ist es, sich auszudrücken. Mit Gerichten. In verschiedenen Sprachen. Im Hoja Santa und dem angrenzenden Niño Viejo mit mexikanischen Produkten und Rezepten. Paco Méndez rührt hier an „Weichen Mandeln mit Avocado-Granizado Estado de Mexico“ und „Tequila-Wolke Jalisco“.

„Ich habe deshalb zugesagt, mein Leben komplett umzukrempeln, weil die mexikanische Küche so viel mehr kann als Tacos und Co. Und hier habe ich die Freiheit und Möglichkeiten, das zu zeigen“, so der Mexikaner, der zwischen Luchador-Maske und Bistro-Mexiko-Style im Niño Viejo sowie Sterneküche im Hoja Santa hin- und herjongliert.

Hier hört alles auf sein Kommando, ob Albert Adrià nun im Haus ist oder nicht. Denn auch das wird einem erst bei genauerem Hinsehen bewusst, beziehungsweise hält die Dokumentation „Constructing Albert“, die heuer bei den Filmfestspielen in San Sebastián präsentiert wurde, mit Bravour den Finger beziehungsweise die Kamera darauf: Die Leute, die hier mitarbeiten, tun das aus denselben Motiven wie damals Grant Achatz, René Redzepi und Co. im elBulli: Sie wollen etwas bewegen. Grenzen ausloten. Und Albert Adrià liefert ihnen gleich fünf Sprachen, die sie dafür auswählen können. Von Nikkei bis Mexiko.

Und auch wenn es sechs eigenständige Lokale sind – das Team ist eines. Mit einem Spirit. Wollte Albert Adrià das elBulli also jemals wirklich hinter sich lassen? „Ja und nein“, sagt sein Bruder Ferran Adrià. „Wir haben ihm damals eine Beteiligung angeboten, aber er wollte nicht. Er wollte einmal die letzte Entscheidung haben.“ Und die hat er nun sechsfach beziehungsweise darüber hinaus. Jeden Tag aufs Neue auf seiner Tour durch das elBarri Adrià. „Um 11 Uhr starte ich meinen Tag, besuche Tickets und Bodega 1900. Um zwölf Uhr herum gehe ich in meinen Taller, das in Enigma integriert ist.
Ich checke meine Mails und bespreche mich mit meinem Assistenten. Wir Köche versammeln uns und um 16.30 herum gehe ich ins Hoja Santa und Pakta. Danach kehre ich in meine Denkwerkstatt zurück. Je nachdem, wie der Tag ist, stehe ich am Pass von einem oder anderen Restaurants und danach gehe ich nach Hause“, so das Kreativgenie.

Das größte Baby kommt zum Schluss

Ja und welche Sprache spricht das rätselhafte Enigma? Das, in dem Gerichte nicht fotografiert werden dürfen und in dem 24 Gäste auf 700 Quadratmetern speisen? Es scheint, als wäre es die ganz eigene Adrià-Sprache, entstanden aus 34 Jahren Erfahrung und der kollektiven kreativen Kraft des gesamten Teams. Wobei Adrià stets betont, dass Enigma nicht der Superstar seiner Konzepte ist. Alle sind gleichwertig und verschieden. Auch wenn beim Enigma schon auch der Anspruch, das beste Restaurant der Welt zu werden, mitschwingt. Trotzdem: Warum auch nur eine Ader als Ausdruck seiner Kreativität nutzen …

Als Chefkoch am Engima-Pass steht Oliver Peña, vormals Chefkoch im 41°. Auch die acht Tonnen schwere Bar ist wieder hier. An sie setzt man sich bei der letzten Station auf der Reise durch Enigma. Nach „Cherryboshi“ im Detox-Raum, „Shiso mit Ugli und Passionsfrucht zu Ingwer und Kumquat“ an der Bar und „Seegurke mit iberischem Schinken und Pil-Pil-Sauce“ am Tepanyaki-Grill. Denn hier gibt es nicht nur einen Gastraum. „Das perfekte Restaurant, das, das Erinnerungen schafft, die man niemals vergisst, besteht nur zu 80 Prozent aus Essen. Der Rest sind andere Dinge. Albert hat es über die Location gemacht“, so Ferran Adrià anerkennend.

Denn auch wenn Albert Adrià die Lokale im Barri Adrià als alleiniger Adrià betreibt, so haben die Brüder doch niemals aufgehört, an einem Strang zu ziehen. Manchmal gemeinsam als Freunde und Brüder. Manchmal als offizielle Partner, wie bei der Hommage an die spanische Küche am Hudson River in New York, mit der man 2018 rechnen darf. Die Frage ist, so Jose Andrés, der dritte im Bunde im Hudson River Projekt und natürlich auch ehemaliger elBulli-Veteran: „Was wäre das elBulli ohne Albert gewesen? Aber auch, was wäre Albert ohne Ferran?“ Eine Frage, die man sich zum Glück nicht wirklich stellen muss. Ansonsten wäre die Gastronomie, die ganze Welt des kreativen Denkens und Hinterfragens um einiges ärmer. Und schließlich ist im Gastro-Olymp auch Platz für zwei Adriàs.

www.elbarriadria.com

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