Fleischersatz-Debatte: Wie sollen vegane „Würste“ heißen?

Fleischersatzprodukte dürfen in der EU womöglich bald nicht mehr Wurst oder Burger genannt werden. Eine Analyse.
Oktober 9, 2025 | Text: Kommentar: Nikolaus Zoltan

Die Fleischindustrie warnt: Bei der Bezeichnung gewisser Lebensmittel gebe es Verwechslungsgefahr, vor der Konsument:innen geschützt werden müssen. Das Problem ist brisant genug, dass das Parlament der Europäischen Union sich damit beschäftigt. Am Mittwoch gab es dahingehend eine Abstimmung, die zugunsten einer Gesetzesänderung ausgefallen ist.

Die Fleischindustrie warnt: Bei der Bezeichnung gewisser Lebensmittel gebe es Verwechslungsgefahr, vor der Konsument:innen geschützt werden müssen. Das Problem ist brisant genug, dass das Parlament der Europäischen Union sich damit beschäftigt. Am Mittwoch gab es dahingehend eine Abstimmung, die zugunsten einer Gesetzesänderung ausgefallen ist.

Und wirklich: Wer sich näher mit der Thematik beschäftigt, merkt schnell, dass nicht nur, aber besonders im deutschen Sprachgebrauch Produktbezeichnungen tatsächlich irreführend sein können. Angefangen beim Hot Dog, der (zum Glück) nicht wirklich Hundefleisch enthält, bis zum Fleischkäse (in Österreich Leberkäse), der – mit Ausnahme der Sonderform Käsefleischkäse – nichts mit dem Milchprodukt zu tun hat.

Im Rheinland weiß man, dass im Halven Hahn gar kein Hühnerfleisch verarbeitet ist, und in Bayern, dass Bierwurst ihren Namen nicht etwa deshalb trägt, weil sie mit Bier hergestellt, sondern weil sie gerne mit Bier verzehrt wird.

Um die genannten kulinarischen Wortkreationen geht es beim aktuellen Streitthema jedoch gar nicht. Sondern? Vielmehr um pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte, die – vielleicht bald nicht mehr – den Namen ihrer jeweiligen tierischen „Vorbilder“ tragen dürfen.

Eine angeschnittene Wurst auf weißem Hintergrund
Schrödingers Wurst: Solange man nicht weiß, ob das hier abgebildete Lebensmittel aus Fleisch besteht, sind auf diesem Bild gleichzeitig Würste und keine Würste zu sehen

Nachvollziehbar ist, dass Bezeichnungen veganer Produkte mit Tierbezug (wie „veganes Schweinefleisch“) einen Widerspruch in sich beinhalten. In vielen Ländern sind sie auch längst verboten und Hersteller müssen sich kreativer Neologismen bedienen.

Bisher erlaubt war es ihnen aber, in der Namensgebung auf die Ähnlichkeit zu traditionell tierisch gewonnenen Gerichten oder geschnittenen Fleischstücken hinzuweisen; Veggie-Burger, vegane Wurst, Soja-Schnitzel, Analog-Steak, Plant-based Nuggets & Co. sind also (noch) rechtlich in Ordnung.

Es geht um Klarheit

Die Sorge besteht darin, dass eingefleischte Fleischtiger beim Griff ins Supermarktregal durch ebensolche Bezeichnungen hinters Licht geführt werden können. „Es geht um Transparenz und Klarheit für den Verbraucher und um Anerkennung für die Arbeit unserer Landwirte“, so Céline Imart (Les Républicains), die französische Politikerin, die den Vorschlag im EU-Parlament eingebracht hat.

Dass die Wahrscheinlichkeit, in einem sogenannten Veggie-Burger oder einer Veggie-Wurst ein tierisches Produkt zu vermuten, unter Durchschnittsverbraucher:innen nicht allzu hoch ist, spielt in der Logik der Antragsbefürworter scheinbar keine Rolle. Auch nicht, dass der Umkehrschluss der Argumentation, nämlich dass Wörter wie Fruchtfleisch oder Fleischtomate fälschlicherweise als Bezeichnung tierischer Produkte angesehen werden könnten, eine an Skurrilität kaum zu übertreffende Pandorabüchse weiterer Debatten aufmacht.

Bisher prallten Versuche, Begriffe wie Veggie-Burger zu verbieten, am Gesetzgeber ab. Bereits 2010 hat sich das EU-Parlament gegen derartige Vorstöße ausgesprochen. Der Europäische Gerichtshof sieht es laut einem Urteil aus dem Jahr 2024 genauso: Demnach dürfen auch vegetarische Würste Würste sein.

„Wurst ist nicht vegan.“

Heute ist die Mehrheit der EU-Parlamentarier:innen jedoch anderer Meinung. „Eine Wurst ist eine Wurst“, sagte auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kürzlich im ARD. Und kam zur Schlussfolgerung: „Wurst ist nicht vegan.“ Dabei geht es Befürwortern des neuen Gesetzes wohl weniger um linguistische Präzision, als um die Zurückdrängung der sich seit Jahren im Vormarsch befindlichen vegan/vegetarischen Bewegung.

Ausgerechnet Deutschland ist Europas größter Markt für Fleischersatz. Im Vorjahr wurden in der Bundesrepublik mehr als 120.000 Tonnen pflanzlicher Alternativprodukte hergestellt. Und als wäre das nicht genug der Kränkung gegenüber ehrlicher, heimischer Landwirtschaft, dürfen diese Produkte sich auch noch mit Namen schmücken, die nur echter Wurst und echtem Schnitzel vorbehalten sein sollten.

Das muss in Zukunft verhindert werden, findet eine Mehrheit von 355 Abgeordneten, die überwiegend aus den Reihen konservativer bis rechter Fraktionen stammt. Mit 247 Gegenstimmen und 30 Enthaltungen wurde also beschlossen: Die Tage des Soja-Schnitzels sind gezählt. Jedenfalls beinahe. Zuerst müssen noch die 27 EU-Staaten ihre Zustimmung zur Gesetzesänderung geben, eine erste Verhandlungsrunde gibt es noch im Oktober.

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Noch darf man dieses pflanzliche Gericht „Burger“ nennen

Übrigens: Fleischersatz ist, auch wenn vegane Wurst erst seit nicht allzu langer Zeit im Einzelhandel omnipräsent ist, keineswegs ein Symptom moderner Essgewohnheiten. Schon seit dem sechsten Jahrhundert sind in China Gerichte aus Weizengluten (Seitan) dokumentiert, die veganen Buddhisten als geschmackliches Substitut für Fleischgerichte dienten. Im Westen taucht Fleischersatz spätestens im 19. Jahrhundert auf, als John Harvey Kellogg – bekannt als der Erfinder der Cornflakes – beginnt, sein „Protose“ genanntes Fleischersatzprodukt aus Erdnüssen und Weizengluten herzustellen.

Und die Bezeichnung „Schnitzel“ für Zubereitungen aus Gemüse hat im deutschsprachigen Raum ebenfalls lange Tradition. Während durch den Ersten Weltkrieg bedingter Hungersnöte (an das Stichwort „Steckrübenwinter“ erinnert man sich vielleicht aus dem Geschichtsunterricht) wurde die Steckrübe zur wichtigsten Nährstoffquelle und diente als Ersatz für schwer beschaffbare Zutaten, wie eben Fleisch; das Steckrübenschnitzel war geboren. Welches – genau wie das allseits beliebte Sellerieschnitzel, der Leberkäse und die Bierwurst – seinen Namen auch im Falle der erfolgreichen Gesetzesänderung vermutlich behalten wird dürfen.

Das wäre zwar nicht ganz schlüssig, aber um Logik geht es nicht. Hauptsache, Hersteller veganer Ersatzprodukte müssen sich bald neue Namen für ihre Nicht-Wurst überlegen. Proteingurke vielleicht. Denn: Nur Wurst ist Wurst.

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