Koks für’s Arbeiten, Joints zum Runterkommen – Ertrinkt die Gastronomie im Rausch?
„Die Küchen gehen in Drogen geradezu unter. Es macht einem wirklich Angst.“ Es war kein Geringerer als Jamie Oliver, der 2023 mit diesen Aussagen aufhorchen ließ und damit als einer der prominentesten Profiköche bestätigte, was Studien seit Langem aufzeigen: Verglichen mit anderen Berufsgruppen sind Suchterkrankungen unter Beschäftigten im Gastgewerbe am häufigsten.
Suchterkrankungen, die bei Alkohol beginnen und bei harten Drogen enden. Wie aber ist es zu erklären, dass das Berauschen auch (beziehungsweise gerade) in der Spitzengastronomie so allgegenwärtig ist?

„Die Küchen gehen in Drogen geradezu unter. Es macht einem wirklich Angst.“ Es war kein Geringerer als Jamie Oliver, der 2023 mit diesen Aussagen aufhorchen ließ und damit als einer der prominentesten Profiköche bestätigte, was Studien seit Langem aufzeigen: Verglichen mit anderen Berufsgruppen sind Suchterkrankungen unter Beschäftigten im Gastgewerbe am häufigsten.
Suchterkrankungen, die bei Alkohol beginnen und bei harten Drogen enden. Wie aber ist es zu erklären, dass das Berauschen auch (beziehungsweise gerade) in der Spitzengastronomie so allgegenwärtig ist?

„Der Leistungsdruck ist enorm“, lautet Oliver Hoffingers Antwort. Und er weiß, wovon er spricht. Einst als jüngster Sous-Chef Europas mit drei Hauben ausgezeichnet, kochte Hoffinger unter anderem bei Wolfgang Puck in L. A. sowie bei Jean-Georges Vongerichten in New York, bevor er 2023 mit Partnerin Jenny Berger das Restaurant Fontana im niederösterreichischen Oberwaltersdorf übernahm.
Dem Druck sei nicht jeder gewachsen, so Hoffinger. „Da ist gerade Alkohol ein guter Freund.“ Ein Freund, den auch der Top-Chef oft konsultierte. Viel zu oft. Und heute offen darüber spricht. „Schon als Lehrling hat es begonnen: Du gehst mit Kollegen was trinken – das steigert sich dann über die Jahre zu täglichem Konsum.“ Der Teufelskreis dabei: „Es ist in der Küche schon stressig genug, da braucht es nicht noch jemanden, der ungesteuert ist. Man sieht es ja: Viele Kollegen brechen weg.“
Aus diesem Teufelskreis zu entkommen, hat Oliver Hoffinger mit der Unterstützung seiner Lebensgefährtin geschafft. „Du darfst aber nie der Grund dafür sein, warum dein Partner zu trinken aufhört. Das muss von ihm kommen“, so Jenny Berger. Und es kam von Oliver. Im August 2021 ging man gemeinsam zur Suchtbehandlungsorganisation Blaues Kreuz, seit damals ist der frühere TV-Koch („Koch mit! Oliver“) trocken.
So wie Friederike Duhme. Die Sommelière des Jahres 2024 kennt den Druck im Gastgewerbe ebenfalls nur zu gut. „Dazu kommt noch die Nachtarbeit“, so die 29-jährige Wahlwienerin. Auch sie kann auf reichlich Erfahrung mit Alkohol zurückblicken: „Man sitzt ja nicht nur an der Quelle, der Konsum wird zusätzlich vom Arbeitgeber gefördert, weil er denkt, damit das Teamgefüge zu stärken. Und wenn man sich da als Mitarbeiter ausklinkt, gehört man nicht dazu.“
Friederike Duhme hat sich ausgeklinkt. Seit mehreren Monaten trinkt die gebürtige Westfälin nicht mehr. Begleitet wird sie dabei von ihrem Partner Lucas Matthies, der als Inhaber von kein & low selbst alkoholfreie und -reduzierte Getränke vertreibt; die beiden beleuchten ihre Abstinenz zudem im Podcast „Drinking Habits“.
Auslöser der Entscheidung, zur Nicht-Trinkerin zu werden, war ein „Rock-Bottom-Moment“, wie es Friederike Duhme nennt. Ein alkoholbedingter Absturz, nach dem „klar war, dass es so nicht weitergeht“.

Wobei diese Erkenntnis auch andere Ursachen hatte. „Ich hatte schon davor Angstzustände und Panikattacken, bin psychisch am Ende gewesen. Ich habe mir oft gesagt, dass ich mit der Gastro aufhören muss, bin aber dann länger geblieben, als mir mein Körper und mein Kopf signalisiert haben.“
Aufgehört hat auch Robert, der als Kellner jahrelang in Restaurants in Deutschland und Österreich tätig war. „Alles bessere Lokale mit der einen oder anderen Haube“, so der Mittvierziger. Seine ständigen Begleiter dabei: Drogen aller Art. „Koks, um schnell und konzentriert zu arbeiten. Joints, um wieder runterzukommen. Manchmal LSD.“
Erschreckend dabei, so Robert, wie ungeniert man in gehobenen Restaurants damit umging. „Schon mit 20 wurde mir alles angeboten. Zuerst bist du neugierig, probierst aus. Und merkst nicht, wie schnell das normal wird. Wie sehr du es dann täglich brauchst.“ Bis der Zusammenbruch kam. Und der Ausstieg aus der Gastronomie. Er wechselte in eine andere Branche – verrät aber nicht, in welche.
Denn Robert, der eigentlich anders heißt, erzählt seine Geschichte nur anonym. Als ehemaliger Suchtkranker zu gelten, könnte ihm im aktuellen Job schaden. „Wobei ich mich selbst nie als Süchtigen gesehen habe. So wie Menschen, die trinken, sich nicht als Alkoholiker sehen.“
Auch für Friederike Duhme ist das Wort „Sucht“ zwar „sehr hart. Denn ich hatte nie körperliche Entzugserscheinungen. Aber ich war psychisch abhängig und damit suchtkrank.“ Die Reaktionen auf die nunmehrige Abstinenz der Sommelière waren jedenfalls gemischt.
„Ich war als junge Frau für viele die Hoffnung der Weinbranche, sie hofften, dass ich mithelfe, Wein wieder ‚cool‘ zu machen. Die waren dann enttäuscht.“ Hoffnung der anderen Art sieht Oliver Hoffinger: „Es wächst eine Generation heran, die viel weniger trinkt. Und wir haben jetzt andere Arbeitsstrukturen, der Druck nimmt ab. Für unsere Mitarbeiter beispielsweise gilt ein striktes Alkoholverbot.“ Er selbst koste mittlerweile auch selbst wieder den Alkohol, mit dem er koche, so der Fontana-Chef. „Getrunken wird aber nach wie vor Holler-Soda und Co.“