Die Tester der Guides

Exklusiv! ROLLING PIN deckt auf: Wie die Tester von Gault Millau und Guide Michelin wirklich ticken und was sie verdienen.
November 13, 2015

Fotos: Werner Krug, Michaela Grabner, Guide Michelin,
Gault Millau Österreich, Heribert Corn/www.corn.at, beigestellt

Tim Raue

 

>> Die Guides in Fakten

 

Michelin & Gault Millau

Guide Michelin:

Die 101. Ausgabe des Guides empfiehlt auf 1440 Seiten insgesamt 1598 Restaurants. Die Anzahl an Drei-Sterne-Häusern bleibt in Deutschland 2011 mit neun Betrieben unverändert. Die Zahl der Zwei-Sterne-Restaurants steigt auf insgesamt 23 an. Ein-Stern-Betriebe gibt es nun statt bisher 198 bereits 205. Ergibt insgesamt eine Zahl von 237 Sternehäusern.

www.guidemichelin.de

Gault Millau Österreich:

Für die 32. Ausgabe des Gault Millau wurden 808 Restaurants in Österreich und angrenzenden Ländern getestet. Dabei ist die Anzahl der Vier-Hauben-Lokale mit vier gleichgeblieben. 21 Drei-Hauben-Lokale, 135 Zwei-Hauben-Lokale und 387 Ein-Hauben-Lokale kann Österreich 2011 verzeichnen. Addiert ergibt das die beachtliche Anzahl von 547 Haubenlokalen in Österreich.

www.gaultmillau.at

 

 

 

Es existieren keine Fotos von ihnen und namentlich erwähnt zu werden, kommt schon gar nicht in Frage. Damit sind die wesentlichen Punkte, die die Tester der beiden wichtigsten Gourmet-Führer „Gault Millau“ und „Guide Michelin“ einen, auch schon erwähnt.

Erstmals ist es ROLLING PIN gelungen, mit (ehemaligen) Testern der beiden Guides zu sprechen und somit endlich hinter jene Kulissen zu blicken, um die es immer wieder wilde Spekulationen gibt. Der erste große Unterschied: Während bei Michelin ausschließlich Inspektoren am Werk sind, die über eine fundierte Ausbildung an einer Hotelfachschule verfügen und darüber hinaus 10 Jahre Berufserfahrung in einem Hotel oder Restaurant vorweisen müssen, setzt man bei „Gault Millau“ bewusst auf Tester, die keine gelernten Köche sind.

Man will passionierte Esser und Genießer haben, da deren Urteil weniger vergleichend und viel objektiver sei, wird argumentiert. Und: Man bewegt sich somit auf Augenhöhe mit dem Zielpublikum, dem Genießer.

„Michelin-Tester haben eine fundierte fachliche Ausbildung und Berufserfahrung.“

Ausgesucht werden die Tester bei „Gault Millau“ nach einem strengen Verfahren. Allein die österreichische Redaktion erhält mehr als 200 Bewerbungen pro Jahr. Knapp über 50 Tester stehen derzeit in ihren Diensten. „Auf zwei Dinge wird Wert gelegt: Erstens, dass man viel von Essen versteht, und zweitens, dass man das auch schreiberisch umsetzen kann. Denn im ,Gault Millau’ verfasst jeder Tester seinen Text selbst“, erzählt der ROLLING PIN-Informant, der in den vergangenen zehn Jahren für „Gault Millau“ an die 300 Bewertungen geschrieben hat. Ob das fachliche Know-how besteht, wird beim Bewerbungsgespräch geklärt, das selbstverständlich im Rahmen eines Essens stattfindet. Passt die Person, muss ein detaillierter Vertrag über 5 Seiten unterschrieben werden, der unter anderem die absolute Verschwiegenheit regelt.

Pro Test wird gegen Vorweis der Rechnung eine Pauschale bezahlt. Man spricht über einen Betrag zwischen 100 und 150 Euro – was in den absoluten Top-Restaurants oft nicht einmal für ein Degustationsmenü ohne Weinbegleitung reicht. „Es geht auch gar nicht um die Bezahlung. Jeder, der für diesen Führer arbeitet, würde sowieso oft und gut essen gehen. Die Pauschale macht dieses Hobby leistbar“, so der Ex-Tester gegenüber ROLLING PIN.

Gault Millau
Auf- und Absteiger in Österreich

Jürgen Benker

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3 Hauben

JÜRGEN BENKER

LIEBES ROT-FLÜH

Haldensee im Tannheimertal

www.rotflueh.com

Neueinsteiger mit 17 von 20 Punkten

 

 

Christian Petz

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2 Hauben

CHRISTIAN PETZ

HOLY MOLY

Wien

www.badeschiff.at

Neueinsteiger des Ex-4-Haubers mit 15 von 20 Punkten

 

 

Aiola City

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1 Haube

AIOLA CITY*

*im Bild: Geschäftsführerin

Julia Schwarz

Graz

www.aiola.at

Absteiger: minus 2 Punkte

 

Großer Kritikpunkt
Michelin arbeitet mit fix angestellten Testern, die dort gerne „Inspektoren“ genannt werden. Größter Kritikpunkt: Sie geben sich nach ihren Restaurantbesuchen als Michelin-Tester zu erkennen und geben oft auch ein mündliches Feedback an die Köche weiter. Kann die Anonymität so gewahrt bleiben? „Die Inspektoren wechseln sich so oft ab, Überschneidungen finden nicht statt“, lautet die Argumentation. Beim Test selbst wird bei Michelin auf viele unterschiedliche Kriterien wert gelegt, vor allem spielen auch „nebensächliche“ Beobachtungen eine Rolle: Ist der Abstand zwischen den Tischen zu eng?

Gehen die Teller vom Nachbarstisch voll oder leer zurück? Wesentlich natürlich: die Qualität des Service sowie die Qualität der Grundprodukte und die Küchenleistung. Jeder Michelin-Tester war – bevor er erstmals allein auf Testtour geht – bereits drei bis sechs Monate mit einem erfahrenen Kollegen unterwegs, um sich mit der Kultur dieses Guides vertraut zu machen.

„Allein die österreich-‚Gault-Millau‘-Redaktion erhält mehr
als 200 Bewerbungen im Jahr.“

Bei „Gault Millau“ wird zudem ein sechs Seiten langer Kriterienkatalog ausgehändigt, an dessen Punkte sich die Tester exakt halten müssen. Auch wenn offiziell nur das Essen bewertet wird, so bestätigt einer der Testesser: „Natürlich spielt das Service und auch das Restaurant selbst eine Rolle. Aber das nimmt ja auch jeder andere Gast wahr. Der Fokus liegt aber tatsächlich auf den Gerichten.“ Und: Niemals wird derselbe Tester zweimal hintereinander in dasselbe Restaurant geschickt.

Zu Beginn der „Gault Millau“-Bewertungssaison (Ende Dezember bis Anfang Juli) darf der Tester eine Liste jener Restaurants vorschlagen, die er besuchen will. Zu gut 80 Prozent werden die Vorschläge angenommen. Getestet wird tatsächlich jeder Betrieb, der im Buch vorkommt, manche sogar mehrmals. Nach jedem erfolgten Restaurantbesuch muss ein Bericht samt Rechnung und Bewertung an die „Gault Millau“-Redaktion gesendet werden. Die hat dann die Letztentscheidung und kann in sensiblen Fällen, außergewöhnlichen Auf- oder Abwertungen weitere Tester entsenden – jedoch nie denselben.

Guide Michelin
Auf- und Absteiger in Deutschland

Juan Amador

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1 Stern

JUAN AMADOR

AMESA

Mannheim

www.a-mesa.de

Hoffnungsträger für den 2. Stern (Küchenchefin Caroline Baum)

 

 

Kevin Fehling

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2 Sterne

KEVIN FEHLING

LA BELLE EPOQUE

Lübeck

www.columbia-hotels.com

Von 1 auf 2 Sterne

1 Stern gesamt

 

 

Tim Raue

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1 Stern

TIM RAUE

RESTAURANT TIM RAUE

BERLIN

www.tim-raue.com

Neueinstieg gleich wieder mit einem Stern

 

Auch beim „Guide Michelin“ wird gemeinschaftlich über die Vergabe der Sterne gerichtet. In den einzelnen Ländern trifft man sich zu den sogenannten „Sterne-Konferenzen“. Mit dabei: Die Inspektoren, die Chefredaktion sowie der Direktor aller „Michelin Guides“. Ein Insider: „Wenn es Auf- oder Abwertungen gibt, sind die zu hundert Prozent begründet. Man überlässt nichts dem Zufall.

Stundenlange Debatten sind keine Seltenheit.“ Danach geht man auseinander und schweigt: Äußerste Diskretion ist das oberste Gebot! Und man pocht auf Seriosität. Nur ein Beispiel: Als einmal das „Ostend Queen“ in Belgien bewertet wurde, noch bevor das Restaurant eröffnete, stampfte der Verlag die gesamte, bereits gedruckte Auflage von 50.000 Büchern ein. Konsequenz pur.

„Nur ein Fehler und die Ausgabe von 50.000 Stück des
Guides wurde eingestampft.“

Auch rund um die Ausgaben des „Gault Millau“ soll es schon zu Ungereimtheiten gekommen sein. „Gerüchte wie diese tragen natürlich wesentlich zur Spannung bei. Im Vorfeld dringt jedoch nie etwas an die Öffentlichkeit. Auch in diesem Jahr haben viele die Bewertungen schon angeblich vorher gewusst, da hört man die atemberaubendsten Geschichten, die sich dann alle als nicht wahr herausstellen“, so der Ex-Tester.

Während das Gefüge der „Michelin“-Inspektoren international zusammengreift, sind die Redaktionen des „Gault Millau“ übrigens komplett getrennt. Man sei Lizenz-Nehmer der Marke und müsse sich an die Vereinbarungen halten, Kriterienlisten, Verträge und dergleichen wären international aber dieselben.

Da wie dort wird jedenfalls ein enormer Aufwand betrieben, um alle Betriebe zu testen. In Österreich nahm der „Gault Millau“ knapp 1000 Restaurants unter die Lupe. „Guide Michelin“ bewertet in seiner soeben erschienen Deutschlands-Ausgabe 5885 Adressen in allen Preisklassen, davon 237 Sterne-Restaurants.

Beide Führer sind sich im Übrigen noch in einem weiteren Punkt einig: „Getestet wird für Menschen, die gerne gut essen. Und nicht für Köche. Das vergessen diese leider zu oft.“

Jean-Luc Naret

Stagniert die Spitzen­gastronomie? – Der Michelin-Direktor spricht Klartext.

Der Blick zurück – Der Direktor des Guide Michelin, Jean-Luc Naret, über das Ende seiner Karriere beim Guide Rouge und die Zukunft der Gastronomie in Deutschland und Österreich.

 

>> Zur Person

Juan-Luc Naret

Director of Michelin Guides

Der insgesamt sechste Direktor in der 108-jährigen Geschichte des Restaurantführers wird nach sechs Jahren Amtszeit am 31. Dezember 2010 zurücktreten und in die Privatwirtschaft zurückkehren. Unter Naret expandierte der Guide Michelin nach Asien und Amerika.

www.michelinguide.com

 

 

ROLLING PIN: Sechs Jahre Guide Michelin, sechs Jahre Expansion trotz Wirtschaftskrise, sechs Jahre umsatzsteigernde Entscheidungen. Welchen Herausforderungen haben Sie sich gestellt?
Jean-Luc Naret: Ich habe das Ziel meiner Position immer so verstanden, dass der Guide Michelin international gesehen mehr Profil bekommen muss, seine Kompetenz auch außerhalb Europas verstärkt wird und eine Entwicklung hinsichtlich der Zielgruppen passieren muss.

RP: Wie haben Sie diese Ziele umgesetzt?
Naret: Amerika ist von mir und meinem Team als potenziell erschließbarer Markt erkannt und dahingehend aufgeschlossen worden. 2011 decken wir nun zusätzlich New York, San Francisco und Chicago ab. In Asien sind in den letzten Jahren Guides für Hong Kong & Macau, Tokio und Kyoto & Osaka auf dem Markt erschienen. Zudem haben wir das Bib Gourmand-Label in Europa und in den Vereinigten Staaten maßgeblich weiterentwickelt. So gibt es nun auch in Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und in Spanien eigene Bib Gourmand-Guides.

RP: Gerüchte um Ihren Rücktritt gibt es seit Jahren. Warum ziehen Sie jetzt, nach all diesen erfolgreichreichen Veränderungen, den Hut?
Naret: Ich habe immer betont, dass ich so lange Direktor bleibe, bis ich es geschafft habe, den Guide Michelin außerhalb Europas zu einem Erfolgsprodukt zu machen. Das ist nun gelungen. Ab 2011 werde ich nun als freiberuflicher Consultant für das Unternehmen arbeiten und mit meinem Rat die zukünftige Entwicklung des Guide Michelin begleiten.

RP: Eine Frage zu den aktuell erscheinenden Guides, für die Sie ja noch verantwortlich zeichnen: In Deutschland gibt es kaum Veränderungen – stagniert die Branche?
Naret: Nun, es gibt immerhin fünf neue 2-Sterne-Restaurants und somit insgesamt 23. Das ist seit 37 Jahren die höchste Anzahl. Auch die Nummer der Bib Gourmands ist mit 66 neuen Beiträgen auf 386 gestiegen und 26 Restaurants können einen neuen Stern für sich proklamieren. Generell gesprochen ist Deutschland hinter Frankreich das Land mit den meisten 3-Sterne-Restaurants und zeigt eine weite Range an dynamischen und unterschiedlichen Häusern. Die Selektion beweist, dass Deutschland keineswegs stagniert, sondern als kulinarisches Land fest etabliert ist und seine Position weiter festigt.

RP: Wie sieht die Sachlage in Österreich aus? Sie meinten, unter Ihnen gäbe es nie wieder einen eigenen Guide für Österreich. Könnte sich das unter Ihrem Nachfolger ändern?
Naret: Zwei Städte Österreichs, Wien und Salzburg, werden ja im „Main Cities of Europe Guide“ bewertet, der im nächsten März erscheinen wird. Bis auf Weiteres gibt es keine Pläne, den Guide wieder aufzunehmen. Aber bis auf Weiteres heißt nicht niemals!

Martina Hohenlohe
Die Macher des „Gault Millau“ in Österreich: Chefredakteurin Martina Hohenlohe und Herausgeber Karl Hohenlohe.

Wenig Mut zur Innovation – Hohenlohe: Zurückhaltung der Kreativität in Österreich.

Beständig – Der „Gault Millau“ gilt in Österreich als wichtigster Führer, die aktuelle Ausgabe brachte keine Veränderung bei den vier 4-Hauben-Restaurants. Warum, weiß Chefredakteurin Martina Hohenlohe.

ROLLING PIN: Was war der markanteste Unterschied im Vergleich zum Testjahr 2009?
Martina Hohenlohe: Wir haben in diesem Jahr eine ziemlich starke Zurückhaltung in Sachen Kreativität gespürt. Das ist wahrscheinlich uaf die Krise zurückzuführen. Wir wissen ja alle nicht, wo wir uns krisentechnisch befinden. Mut zur Innovation war in diesem Jahr jedenfalls wenig spürbar.

RP: Wohin geht der Trend?
Hohenlohe: Einerseits könnte sich ein gewisser Regionalfetischismus entwickeln, wie beim „noma“ in Kopenhagen, wo René Redzepi ja ausschließlich mit nordischen Produkten kocht. Andererseits ist der Begriff Trend im Zusammenhang mit der Spitzenküche ein schwieriger. Denn je besser ein Koch wird, umso ausgeprägter sein Individualismus. Wenn ich etwa bei Michel Bras esse, erkenne ich keine Modetrends. Im Gegenteil: Jeder Teller ist ein Kunstwerk, er selbst gibt Trends vor.

RP: Hat „Gault Millau“ Österreich vom Wegfall des „Guide Michelin“ profitiert?.
Hohenlohe: Wir fanden die Konkurrenz befruchtend. Das heißt aber nicht, dass wir den Rückzug des „Guide Michelin“ bedauern. Für die Köche vermittelte er das Gefühl auch international ernst genommen zu werden. Aber de facto haben wir seine Präsenz rein wirtschaftlich kaum gespürt – weder im Buchverkauf, noch im Anzeigenaufkommen.

RP: Gibt es „Hoffnungsträger“ in Österreich auf eine vierte Haube?
Hohenlohe: Wir haben mittlerweile eine extrem spannende Riege an 18-Punkte-Trägern. Jemanden hervorzuheben, würde falsche Hoffnungen schüren. Denn die Testsaison für den „Gault Millau 2012“ beginnt ja erst.

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