Rudi Kull: Einfach weiter Kull bleiben

Gemeinsam mit seinem Partner Albert Weinzierl lehrte Rudi Kull München eine neue Art der Gastronomie. Ein Gespräch über den Weg vom Coffeeshop-Kellner zum Hospitality-Entrepreneur, Mut und Demut, und die Zukunft einer Branche im Umbruch.
Dezember 9, 2021 | Text: Stephanie Fuchs | Fotos: Raphael Gabauer, Felix Friedrich, Ben Eder, Ender Suenni, Thomas Fedra

Rudi Kull meldet sich am Telefon mit einem freundlich-beschwingten „Servus!“, aber man kann die Sorgenfalten auf seiner Stirn knistern hören. Es ist Dienstag, der 23. November 2021, ein Tag, bevor die vierte Coronawelle auch die Gastronomie im Freistaat Bayern wieder in Ketten legen wird.

Rudi Kull
Still in the mood for Minga: Seit 25 Jahren zählt Hospitality-Alleskönner Rudi Kull zu den hellsten Sternen am Münchner Gastrohimmel.

Rudi Kull meldet sich am Telefon mit einem freundlich-beschwingten „Servus!“, aber man kann die Sorgenfalten auf seiner Stirn knistern hören. Es ist Dienstag, der 23. November 2021, ein Tag, bevor die vierte Coronawelle auch die Gastronomie im Freistaat Bayern wieder in Ketten legen wird.

Rudi Kull
Still in the mood for Minga: Seit 25 Jahren zählt Hospitality-Alleskönner Rudi Kull zu den hellsten Sternen am Münchner Gastrohimmel.

Sie werden dieses Mal wohl weniger eng gezurrt als im zweiten Lockdown – bis 22 Uhr dürfen Restaurants in der Landeshauptstadt offenhalten, vorerst. Aber für Rudi Kull, der mit seinem Geschäftspartner, dem Architekten Albert Weinzierl, seit 25 Jahren zu den Fixgrößen der Münchner Gastroszene zählt und in der Innenstadt ein Hotel, eine Espresso- und eine Weinbar sowie vier Restaurants führt, gibt es wenig schönzureden an der aktuellen Situation. „Es ist wirklich bitter, weil es nach sieben Monaten Lockdown umsatztechnisch gerade bergauf gegangen ist, und jetzt wird diese zarte Hoffnung wieder zunichte gemacht“, sagt Kull, der sich vor allem auch um seine Mitarbeiter sorgt. „Die haben große Angst, wie es jetzt weitergehen wird. Was diese Menschen aushalten müssen, das ist schon hart. Aber wir werden das schaffen.“

Alle unsere Läden haben eine Geschichte, eine Seele, eine besondere Architektur. Und sie tragen eine klare gastgeberische Handschrift.
Rudi Kull über das Verbindende im Individuellen

Dieser letzte Satz hallt nach, denn in ihm schwingt so deutlich mit, was Rudi Kull auszeichnet, und was – nebst Können und unkaputtbarer Leidenschaft – wohl auch entscheidend dazu beigetragen hat, dass aus einem 19-jährigen Schüler aus Ingolstadt einer der erfolgreichsten Hospitality-Unternehmer Münchens wurde: Zuversicht und Ehrgeiz.

Wenn du’s hier schaffst …

Schon mit 15 Jahren hätten ihn in Magazinen Fotos von arabischen Teehäusern und Pariser Cafés magisch angezogen, erzählt Kull. Mit 19 ging er nach Los Angeles, es sollte ein klassisches Sommerabenteuer werden. Aber dann kam ihm ein Job in einem Café in Venice Beach dazwischen und Kull beschloss, zu bleiben. Nach einen Zwischenstopp im legendären „Ivy at the Shore“ hängte er an der UCLA noch ein Studium für Restaurantmanagement an, bevor es ihn nach New York zu Dreisterner David Bouley und in eine Welt verschlug, in der unter enormem Druck bis zur Erschöpfung gearbeitet, zum Druckausgleich aber auch bis zum Umfallen gefeiert wurde. „Es wäre natürlich eine Option gewesen, in New York zu bleiben, ich hatte sogar das Angebot, als Partner in eine Neueröffnung einzusteigen“, erzählt Kull. „Aber ich war damals schon sieben Jahre dort, und wenn ich geblieben wäre, hätte ich den
Absprung nicht mehr geschafft. Also bin ich zurück nach München, mit der fixen Idee im Kopf, ein Lokal aufzumachen.“

Masslose Mutausbrüche

In Albert Weinzierl, den Kull über einen gemeinsamen Bekannten kennenlernte, fand er 1996 schließlich jemanden, der der Idee eines eigenen Ladens ebenfalls etwas abgewinnen konnte. Auf der Suche nach einer passenden Location stießen die beiden auf ein Ladenlokal in der Münchner Innenstadt, Marienstraße 4. Damals, sagt Kull, sei die Gegend gastronomisches Brachland gewesen. Ob Jeunesse dorée oder Münchner Urgestein: Die Stadt hielt sich lieber in Schwabing an Tisch und Tresen fest. Kull und Weinzierl setzten trotzdem auf das Herz der Stadt und eröffneten das Buffet Kull als Brasserie im New-York-Style.

Das Münchner Publikum kam schnell auf den Geschmack von Hummerschaumsüppchen, Loup de Mer und NY-Style-Filetsteak im quirlig-eleganten Ambiente, Kull/Weinzierl auf den des Gastro-Unternehmertums im Stadtkern. 1998 sperrten sie die italienische „Bar Centrale“ auf, 2000 die norditalienische Pizzeria „Riva Tal“, 2001 ging das Duo mit dem Hotel Cortiina inklusive der nunmehrigen GRAPES Weinbar unter die Boutique-Hoteliers, 2004 schließlich folgte das Restaurant brenner in der Maximilianstraße.

Wir haben das Louis zu einem der führenden Hotels Münchens aufgebaut. So eine Perle verkauft man nicht leichtfertig, schon gar nicht unverschuldet.
Im August 2020 verkauften Rudi Kull und Albert Weinzierl coronabedingt ihr Designhotel am Viktualienmarkt

Das in der denkmalgeschützten Säulenhalle des Marstalls untergebrachte Restaurant mit Bar und Grill ist auch heute noch die Perle im Portfolio. Weil man dort ausnehmend schön sitzt, aber auch, weil Kull und Weinzierl in puncto
Kulinarikkonzept einen ausnehmend eigenständigen Weg gewählt haben: Trennkost. Das klingt nach Körnerküche und Birkenstock, wird im brenner aber so gekonnt feinfresserfreundlich umgesetzt, wie sonst deutschlandweit nirgendwo. Es gibt ausgewählte Fleisch- und Fischgerichte vom Grill, exquisite Salate, hausgemachtes Brot und frische Pasta, kurzum: alles, was auf hohem Niveau Spaß macht und schmeckt. „Aber ich will den Leuten die Möglichkeiten geben, auf ihren Magen schauen zu dürfen, und für viele Gäste ist es wichtig, dass sie ihre Komponenten zusammenstellen dürfen und es Alternativen zu Kohlehydraten gibt“, erklärt Kull.

Individualität in Serie

Die Idee, der Sättigungsbeilage leise „Servus“ zu sagen, haben die beiden Unternehmer in ihre im Oktober 2020 eröffnete brenner kitchen mitgenommen. Auch hier gibt es Trennkostküche vom Grill, nur mit ausgesuchtem Olivenöl und Zitrone verfeinert, außerdem freestyle Sushikreationen und vegane Maki Rolls. Man darf davon ausgehen, dass auch der brenner kitchen eine erfolgreiche Zukunft beschieden sein wird, weil Kull und Weinzierl dem roten Faden, der sich durch alle ihre Konzepte zieht, treu geblieben sind: die gelungene Verschmelzung von Raum, außergewöhnlicher Architektur und gastronomischem Konzept, Detailverliebtheit und höchste Servicequalität.

Rudi Kull
Rudi Kulls Devise lautet: Wo kein Chef, da kein Vertrauen der Mitarbeiter und keine glücklichen Gäste. Deshalb trifft man ihn ab Mittag auch immer in einem seiner Betriebe. Meistens im Restaurant brenner.

Was Rudi Kulls Freude über das neue Baby trübt, ist der Umstand, dass die Zukunft für die brenner kitchen eigentlich noch gar nicht so richtig beginnen konnte. „Wie haben sechs Tage nach der Eröffnung lockdownbedingt schließen müssen, und die ganze Energie, die in die Pre-Opening-Phase geflossen ist, ist mit einem Mal verpufft“, sagt Kull. Hinzu kam, dass dem Unternehmen zu diesem Zeitpunkt Corona ohnehin schon ziemlich in den Knochen steckte.

Was sich rechnet

Im August 2020 mussten Kull und Weinzierl ihr 2009 eröffnetes Designhotel Louis am Viktualienmarkt an einen Investor verkaufen, um sich finanziell Luft zu verschaffen. „Es war eine brutale und sehr schmerzhafte Entscheidung, weil das Louis extrem gut gelaufen ist und wir so viel Herzblut da reingesteckt hatten“, sagt Kull. Aber die Kombination aus sehr hohem Pachtzins und einer plötzlich radikal schlechteren Auslastung habe den Verkauf notwendig gemacht. Das Hotel Cortiina auf den Markt zu werfen, sei aufgrund der günstigeren Pachtverhältnisse und starken Stammkundschaft hingegen nicht zur Diskussion gestanden.

Allen Rückschlägen zum Trotz ist Kull der Idee, sich zukünftig vielleicht wieder eines Hotelprojekts anzunehmen, nicht abgeneigt. Ebenso wenig wie der, das Restaurantportfolio noch weiter auszubauen. Aber die Zeiten hätten sich geändert. „Ich bin überzeugt, dass Gastronomiebetriebe, die sich klar positionieren, auf Qualität setzen und nachvollziehbare Konzepte verfolgen, gute Zukunftschancen haben. Aber die Ansprüche an eine Eröffnung sind anspruchsvoller geworden, der Mitbewerb ist härter, und ein erfolgreicher Gastronom muss heute nicht nur mutig und enthusiastisch sein, sondern vor allem auch ein guter Kaufmann, der weiß, was er sich leisten kann, und was nicht.“ Ein Typus von Gastronom eben, wie Rudi Kull einer ist, und der zum Hospitality-Business von morgen gehören wird, wie das Helle zu München.

www.kull-kg.de

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RUDI KULL. Mit 19 zog es ihn nach Amerika, wo er sich vom Coffeeshop-Kellner bis in die Servicebrigade von Dreisterner David Bouley in New York hocharbeitete. In München legte er 1996 gemeinsam mit Architekt Albert Weinzierl den Grundstein für das Hospitality-Unternehmen Kull & Weinzierl, zu dem sechs Gastronomiebetriebe und ein Hotel gehören. 2019 erwirtschaftete die Gruppe einen Foodservice-Umsatz von 24,8 Millionen Euro.

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