Wie Alexander Herrmann seine eigene Welt gänzlich neu erschafft

Gemeinsam mit Tobias Bätz zieht Alexander Herrmann seit Jahren Überraschendes aus dem Kulinarik-Teich. Doch jetzt hat er den dicksten aller Fische an der Angel – das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses: Neuer Name des Zwei­sterners. Neues Verständnis von Regionalität. Neue Art der Teller-Kreation. Großer Mut zu viel Kontrollverlust.
Mai 11, 2023 | Text: Johannes Stühlinger | Fotos: Julia Losbichler, Sebastian Metzdorf/Metzemedia

Seine Augen blitzen schelmisch. „Das war unser altes Mantra: Wir geben Gas, reach for the Stars“, sagt der junge Mann, der gar nicht aussieht wie Alexander Herrmann. Deutet auf den Schriftzug, der über seinem Kopf am Pass prangt. Kunstpause. Impulsives Gestikulieren. Jetzt spricht er weiter: „Dann haben wir begriffen, dass wir damit stets nur den Weg und nicht den zweiten Stern fokussieren. Also haben wir ein neues Mantra entwickelt: An uns kommt keiner vorbei, wir haben zwei!“ Das steht nirgendwo, das ganze Küchenteam hat es längst in sich. Ganz ohne Buchstaben.

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Seit 14 Jahren angeln Alexander Herrmann und Tobias Bätz gemeinsam nach Überraschungen im Kulinarik-Teich. Jetzt holen sie ihren größten Fang ein

Kein Wunder, seit inzwischen vier Jahren ist die Küche des Posthotels mit zwei Michelin-­Sternen geschmückt. Und der Mann, der die Story gerade zum Besten gibt, heißt Sebastian Metzdorf. Er ist eine der tragenden Säulen im System des Alexander Herrmann. Als Teil des Kochteams, als Food-Fotograf und als jener Erzähler, der den Gästen des Fine Dine-Restaurants mit besonderer Hingabe eine ungewöhnliche Vorspeise serviert: Eine Tour durch das lokale Universum, hier im verschlafenen Wirsberg, gut eine Autostunde nördlich von Nürnberg. Gespickt mit viel Wissen und garniert mit sympathischen Anekdoten. Sie ist Teil des Gesamterlebnisses und jedenfalls keine Tour, bei der es darum geht, anzugeben. Vielmehr soll sie den hier erwachsenen kulinarischen Kosmos begreifbar machen. In der Tat ist nämlich das, was hier in den vergangenen Jahren entstanden ist, weit mehr als bloße Sternegastronomie.

Zusammengefasst benennt Alexander Herrmann selbst dieses Ergebnis vieler unterschiedlicher und durchaus aufwendiger Prozesse als „Grenzenlose Heimat“. Eine Phrase, die auf der Stelle viele Fragen aufwirft. Daher eben diese Tour für seine Gäste. Und dieses Interview mit dem Visionär selbst.

Seine Augen blitzen schelmisch. „Das war unser altes Mantra: Wir geben Gas, reach for the Stars“, sagt der junge Mann, der gar nicht aussieht wie Alexander Herrmann. Deutet auf den Schriftzug, der über seinem Kopf am Pass prangt. Kunstpause. Impulsives Gestikulieren. Jetzt spricht er weiter: „Dann haben wir begriffen, dass wir damit stets nur den Weg und nicht den zweiten Stern fokussieren. Also haben wir ein neues Mantra entwickelt: An uns kommt keiner vorbei, wir haben zwei!“ Das steht nirgendwo, das ganze Küchenteam hat es längst in sich. Ganz ohne Buchstaben.

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Seit 14 Jahren angeln Alexander Herrmann und Tobias Bätz gemeinsam nach Überraschungen im Kulinarik-Teich. Jetzt holen sie ihren größten Fang ein

Kein Wunder, seit inzwischen vier Jahren ist die Küche des Posthotels mit zwei Michelin-­Sternen geschmückt. Und der Mann, der die Story gerade zum Besten gibt, heißt Sebastian Metzdorf. Er ist eine der tragenden Säulen im System des Alexander Herrmann. Als Teil des Kochteams, als Food-Fotograf und als jener Erzähler, der den Gästen des Fine Dine-Restaurants mit besonderer Hingabe eine ungewöhnliche Vorspeise serviert: Eine Tour durch das lokale Universum, hier im verschlafenen Wirsberg, gut eine Autostunde nördlich von Nürnberg. Gespickt mit viel Wissen und garniert mit sympathischen Anekdoten. Sie ist Teil des Gesamterlebnisses und jedenfalls keine Tour, bei der es darum geht, anzugeben. Vielmehr soll sie den hier erwachsenen kulinarischen Kosmos begreifbar machen. In der Tat ist nämlich das, was hier in den vergangenen Jahren entstanden ist, weit mehr als bloße Sternegastronomie.

Zusammengefasst benennt Alexander Herrmann selbst dieses Ergebnis vieler unterschiedlicher und durchaus aufwendiger Prozesse als „Grenzenlose Heimat“. Eine Phrase, die auf der Stelle viele Fragen aufwirft. Daher eben diese Tour für seine Gäste. Und dieses Interview mit dem Visionär selbst.

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Über deinem Restaurant steht plötzlich nicht mehr „Restaurant Alexander Herrmann by Tobias Bätz“, sondern „Aura“. Was steckt hinter diesem neuen Namen?
Alexander Herrmann: Im Grund haben wir endlich aufgeräumt. Jetzt ist das, was hinter den Kulissen längst Tatsache ist, auch nach außen hin klar und sauber dargestellt. Und zwar so, dass wir mit dem neuen Label „Aura by Alexander Herrmann und Tobias Bätz“ und dem neuen Future Lab „Anima“ in einem gemeinsamen Markenauftritt erzählen, was Sache ist. Schließlich sind Tobi und ich seit 14 Jahren gleichwertig und auf Augenhöhe für die kulinarische Entwicklung zuständig. Gleichzeitig aber hat sich in den vergangenen Jahren durch unseren Foodscout Joschi Oswald eine neue Säule entwickelt, ohne die unser heutiges Tun nicht möglich wäre – unser Future Lab eben, das er leitet. Aber unterm Strich kann man sagen: Dieser Schritt soll der Welt zeigen, dass die gemeinschaftliche Idee unseres Schaffens größer ist als mein Name.

Das Anima liefert nun als Future Lab die Bausteine für die Gerichte im Aura!
Alexander Herrmann über den Hintergrund des neuen Namens

Das sind jetzt gar viele Facetten auf einmal: Was ist nun Aura und was Anima?
Herrmann: Beide Begriffe spielen zusammen – das fängt schon bei ihrer Wortbedeutung an: Anima steht für die Seele. Aura für die Ausstrahlung. Beides ergänzt sich. Und so ist das auch bei unserem Tun, schließlich ist das Ergebnis, das auf den Tellern landet, die Essenz eines Prozesses, der ganz woanders beginnt. Und zwar im Future Lab namens Anima, in dem Joschi Oswald als unser Foodscout das Sagen hat. Dieses liefert die Bausteine für das, was Tobi und ich im Restaurant Aura auf die Teller bringen können.

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Die neue Karte demonstriert das Konzept der „Grenzenlosen Heimat“ eindrucksvoll. Hier: geflämmter Spargel, Zitrone, bayrische Garnele, Nussbutter

Hier das Rezept zum Nachkochen!

Gut, aber was können wir uns unter dem Future Lab Anima jetzt konkret vorstellen?
Herrmann: Das ist das Ergebnis aus einer Entwicklung, die sich über viele Jahre erstreckt. Begonnen hat es damit, dass wir, um unserem regionalen Anspruch gerecht werden zu können, angefangen haben, nach Möglichkeiten zu suchen, wie wir etwa fränkische Kirschen nicht nur eine Woche, sondern über mehrere Monate auf der Karte haben können. Also hat Joschi zuerst einmal geschaut, wie haben das unsere Omas gemacht. Doch dann ist er den Schritt weitergegangen, hat sich gefragt, welche Methoden des Haltbarmachens gibt es weltweit. Wir schauen uns also an, welche Techniken existieren und fragen uns dann, wie wir sie auf unsere fränkischen Lebensmittel anwenden können.

Also machen wir etwa Miso aus fränkischem Bärwurz, der hier überall wächst. Somit war bald klar, dass wir kein Fermentations Lab erschaffen haben, sondern ein Future Lab. Es geht um das, was wir in Zukunft auf unseren Tellern haben werden. Und das führt dazu, dass wir unsere Gerichte heute nicht einmal kreieren, sondern zweimal. Joschi kreiert hier im Future Lab das erste Mal. Und wir in der Küche kreieren aus den hier entstandenen Grundprodukten dann das zweite Mal – die einzelnen Gerichte. Daher hängt beides so konkret zusammen. Bei unserem aktellen Menü stammen 65 Produkte aus dem Anima!

Wir suchen überall auf der Welt nach neuen Techniken, um regionale Produkte haltbar zu machen.
Ein Teil von Alexander Herrmanns Definition der „Grenzenlosen Heimat“

Das heißt, der Begriff „Grenzenlose Heimat“ bezieht sich auf die Techniken aus aller Welt, mit denen ihr regionale Zutaten haltbar macht?
Herrmann: Das ist nur ein Aspekt, der zu diesem Konzept gehört. Die Basis dafür rührt aus einer ganz anderen Erkenntnis: Wir sind draufgekommen, dass es in Franken nichts gibt, das es nicht gibt! Wir haben etwa hier ein Tropenhaus, in dem die besten Zitrusfrüchte, die besten Papayas und die besten Maracujas gedeihen. Das wird nun durch den Klimawandel zusätzlich verstärkt – Joschi hat inzwischen Feigen und sogar Mandeln aus der Region ­aufgetrieben. Doch wir verstehen die „Grenzenlose Heimat“ auch als gemeinsamen Auftrag, mit unseren Produzenten gewisse Produkte weiterzuentwickeln.

Wie kann man sich das vorstellen?
Herrmann:
Das beste Beispiel ist unser Fleisch. Wir haben uns die Frage gestellt: Wo gibt es das beste Fleisch der Welt? Dann haben wir uns eben angesehen, warum etwa das australische Wagyu so besonders zart und großartig ist. ­Darauf­­hin haben wir uns gefragt, warum im Umkehrschluss  unser Fleisch vom Biss her so viel fester ist. Dann sind wir zu unserem Bauern gegangen und haben mit zusätzlichen Experten geschaut, was wir gemeinsam tun können, um unser Fleisch auf das gewünschte Level zu bekommen.Ein wichtiges Learning dabei war, dass das Fleisch länger reifen muss. Dazu aber muss es eine andere Fettstruktur haben. Also haben wir nach einem regionalen Futter gesucht, das dem Tier gut tut und die Fettstruktur im Fleisch beeinflusst. Also: kein Mais. Hafergras! Das hat viel Energie und ist gesünder. Der ganze Prozess hat fünf Jahre gedauert, bis wir heute das Ergebnis genießen können. All das verstehen wir unter „Grenzenloser Heimat“.

„Miso aus Bärwurz? Schmeckt großartig!“

Damit so lange Prozesse erfolgreich sein können, muss das Team auch langfristig bestehen. Ist deine Wunderzutat dafür grenzenloses Vertrauen?
Herrmann: Nein. Entscheidend ist das Loslassen. Und das ist nur durch Mut möglich. Ich bin überzeugt davon, dass es der Mut des Kontrollverlusts ist, der die größte Schwierigkeit dabei ist. Denn nur dann ist es möglich, Menschen dazu zu fördern, was sie gut können. Du musst die Großartigkeit  der anderen zulassen! Und es braucht die Menschen, die den Mut haben, ihren eigenen Weg in deinem Kosmos zu beschreiten. Das heißt aber auch, dass man Fehler akzeptieren können muss. Fehler passieren einfach immer. Hier muss man einen Teufelskreis  durchschneiden. Unser Credo lautet: Was schlecht läuft: ansprechen und sein lassen. Was gut läuft: weitermachen und verbessern. So konzentrieren wir uns nur auf das, was gut ist. Das zu tun, ist uns gelungen. Jedem für sich. Und das macht uns gemeinsam so stark.

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Woher das Farbkonzept des neuen „Aura“ stammt? Die Farbe einer Damenunterwäsche hat Alexander Herrmann inspiriert …

Ist das ein Konzept, das dir gerade in Zeiten, in denen alle über Fachkräftemangel klagen, das Leben als Unternehmer erleichtert? Findest du genug Leute?
Herrmann: Alle Betriebe zusammengerechnet sind es 120 Leute, die wir beschäftigen. Und die jeweiligen Leitfiguren teilen alle unsere Vision, daher pflanzt sie sich ganz automatisch auch in den anderen Betrieben fort. Was ich erlebe, ist, dass wenn jemand einmal bei uns irgendwie zur Probe gearbeitet hat, dann sagt er uns in 80 Prozent der Fälle auch zu. Weil wir, glaube ich, wirklich eine gute Art und Weise haben, miteinander umzugehen. Jeder ist wichtig. Das hat natürlich auch etwas mit diesem Fernsehkoch-Moment zu tun. Den Versprechen, die ich nach außen hin abgebe. Denn diese muss am Ende nicht nur ich, sondern auch mein Team halten. Jeder kriegt einen Teil dieser Bedeutung, die Fernsehen mit sich bringt, ab. Klar, das schmeichelt. Gleichzeitig darf man aber nicht vergessen, welche Erwartungshaltung uns allen dadurch entgegengebracht wird.

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Handwerklich präzise, optisch elegant: Lauch in Garum geschmort, Salat, Aal, Pfeffer

Hier das Rezept zum Nachkochen!

Apropos der TV-Star Alexander Herrmann: Wie -relevant ist deine Präsenz für dein Geschäft?
Herrmann: Ich sage immer: Wir sind hier zwar nicht am Arsch der Welt, aber wir können ihn von hier aus ganz gut sehen. Fern­sehen hat uns einfach nur geholfen, nationales Interesse an uns zu wecken. Der Berliner, der nach München fährt, der Hamburger der nach Österreich fährt, die haben plötzlich hier bei uns angefangen, Halt zu machen. Rein statistisch wäre es uns nicht möglich, ein Zwei-Sterne-Restaurant und ein Bistro in der Qualität, die wir haben, hier aufzubauen und zu führen.

Weil wir viel zu wenig funktionierende Industrie und eine zu geringe Bevölkerungsdichte in der Region haben. Das heißt: Alles, was sich in diesen fast 30 letzten Jahren entwickelt hat, ist durch das nationale Interesse entstanden. Und das hat das Fernsehen ermöglicht. Deshalb hatte ich auch in der Zeit, als ich mit meiner Krebs­erkrankung zu kämpfen hatte, niemandem etwas von der Krankheit erzählt. Ich wollte unbedingt verhindern, dass damals irgendwer von den Programmchefs oder so sagt: „Ne, bleib zuhause und werd’ erst einmal gesund!“ Ich hatte mehr Panik davor, plötzlich abgemeldet zu sein, als vor dem Krebs selbst. Weil es eben so wichtig war und auch noch ist. Wie gesagt: Sonst kommt doch niemand einfach so zu uns hier nach Wirsberg.

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Nach 20 Jahren setzt Alexander Herrmann alles neu auf

Gleichzeitig sind aber schon auch die zwei Sterne aus wirtschaftlicher Sicht hilfreich, oder nicht?
Herrmann: Natürlich. Der zweite Stern hat uns in allen Belangen maximal unterstützt. Das muss ich sagen. Deswegen bin ich sehr dankbar. Es war für uns ein fantastischer und unvergesslicher Moment. Und zwar nicht nur für Tobias und mich. Tatsächlich waren wir alle, das gesamte Team, bei der Verleihung und haben den zweiten Stern so richtig gefeiert. Dabei ist mir klar geworden: Das ist eine persönliche Lebensleistung von jedem, der diesem, der unserem Team angehört. Das ist ein Moment, den wird niemand von uns allen jemals wieder vergessen.

Alexander Herrmann

Aufgewachsen in einer Hoteliersfamilie in Wirsberg im Frankenwald verlor Alexander Herrmann mit neun Jahren beide Elternteile bei einem Autounfall. Er absolvierte die Hotelfachschule Bavaria, machte die Kochlehre und stieg 1996 als Küchenchef im familiären Betrieb ein. Ein Jahr darauf startete er seine TV-Karriere mit dem „Kochduell“ auf VOX. Seither gehört Herrmann zu den kochenden Stammgästen im deutschen Fernsehen und betreibt inzwischen erfolgreich neben dem Heimatbetrieb zwei weitere Restaurants in Nürnberg.

herrmanns-posthotel.de

 

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