Plötzlich wird die Stadt zum Garten!

Fachleute wie Europas Top-Landwirt Alfred Grand oder Experte Wolfgang Palme sind davon überzeugt, dass man Großstädte aus innerstädtischer Gemüseproduktion selbstversorgen könnte, wenn man nur wollte. Eine Vision, die zwar Top-Chefs mittragen, die aber schon eine Frage aufwirft: sinnlose Illusion oder faszinierende Vision?
April 24, 2025 | Text: Nina Wessely | Fotos: Top 50 Farmers, Unsplash, Ingo Pertramer, Raphael Gabauer, Shutterstock, Helge O. Sommer

Ewige Idealisten. An diese Bezeichnung haben sich Wolfgang Palme und Alfred Grand schon lange gewöhnt. Das liegt an ihrer gemeinsamen Zukunftsvision, die da lautet: Städte ausschließlich mit Gemüse aus der stadteigenen Produktion zu versorgen. Fragenden Blicken begegnet Landwirt Grand längst mit Fakten und wissenschaftlichen Zahlen. Dazu später mehr.

Wolfgang Palme hingegen reagiert auf Skepsis mit bestechender Logik, wenn er sagt: „Natürlich stehen Ballungsräume wie Wien oder Paris auf bestem Ackerland. Weil sich Menschen schon immer dort angesiedelt haben, wo auch die Erde fruchtbar ist. Damit sie sich selbst versorgen können.“ Einen Ballungsraum mit Gemüse aus der Stadt und der unmittelbaren Umgebung zu ernähren, ist auch heute möglich, sagt er. Man muss es nur machen. Und Strukturen dafür schaffen – der große Knackpunkt, frage nicht.

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„Wenn es um Nachhaltigkeit geht, ist die Marktgärtnerei ganz vorne dabei. Das sagt auch die UNO!“
Forschungslandwirt Alfred Grand arbeitet an der wissenschaftlichen Basis einer großen Vision

Ewige Idealisten. An diese Bezeichnung haben sich Wolfgang Palme und Alfred Grand schon lange gewöhnt. Das liegt an ihrer gemeinsamen Zukunftsvision, die da lautet: Städte ausschließlich mit Gemüse aus der stadteigenen Produktion zu versorgen. Fragenden Blicken begegnet Landwirt Grand längst mit Fakten und wissenschaftlichen Zahlen. Dazu später mehr.

Wolfgang Palme hingegen reagiert auf Skepsis mit bestechender Logik, wenn er sagt: „Natürlich stehen Ballungsräume wie Wien oder Paris auf bestem Ackerland. Weil sich Menschen schon immer dort angesiedelt haben, wo auch die Erde fruchtbar ist. Damit sie sich selbst versorgen können.“ Einen Ballungsraum mit Gemüse aus der Stadt und der unmittelbaren Umgebung zu ernähren, ist auch heute möglich, sagt er. Man muss es nur machen. Und Strukturen dafür schaffen – der große Knackpunkt, frage nicht.

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„Wenn es um Nachhaltigkeit geht, ist die Marktgärtnerei ganz vorne dabei. Das sagt auch die UNO!“
Forschungslandwirt Alfred Grand arbeitet an der wissenschaftlichen Basis einer großen Vision

Im echten Leben ist Wolfgang Palme Abteilungsleiter für Gemüsebau an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn. Die City Farm Augarten in Wien hat er als ehrenamtlicher Leiter 2012 als Verein gegründet. Hier wird nachhaltiger und zukunftsfähiger Anbau von Obst und Gemüse vorgelebt. Mitten in Wien. Hier zeigt er vor, dass seine Vision keine Illusion ist, sondern bloß kein Thema von morgen, sondern eines von übermorgen. Umso wichtiger also, die Schritte schon jetzt in die richtige Richtung zu lenken. Aber welche sind das? Und wie kann diese Rechnung überhaupt aufgehen?

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Gemüsesorten wie Blaukraut (Rotkohl) eignen sich besonders gut, um auf kleinem Raum in großer Menge angebaut zu werden. Sind also ideal für Stadtgärtnereien.

Was sind Marktgärtner eigentlich?

Tatsache ist: Mit einem Hektar Landwirtschaft kann man bis zu 250 Familien rund ums Jahr mit Frischgemüse versorgen. „Das ist natürlich in einer Stadt wie Wien nicht viel. Aber ein Hektar ist auch nicht viel Land. Und Wien ist von bestem Gemüseackerland umgeben.“

Marktgärtner sind dabei keine Hobbygärtner. Vielmehr sind sie Experten für eine ganzjährige Ernte und für nachhaltige Bewirtschaftung des Bodens. Einer seiner wichtigsten Influencer für das Thema ist Heinz Reitbauer. So entstand die gemeinsame Idee, den Austausch von Top-Köchen untereinan­der, im Rahmen des Kochcampus, in der City Farm in Wien zu veranstalten. Um der Vision mehr Stimme zu verleihen.

„Gastronomen sind die Türöffner!“
Heinz Reitbauer ist von der Idee der Marktgärtnereien nicht bloß fasziniert, im Steirereck in Wien hat er die Vision längst in die Realität geholt.

Denn: Lobbyarbeit ist freilich der Dünger, um Palmes Vision voranzutreiben. „Wir haben wirklich viel landwirtschaftliche Nutzfläche in Wien und Umgebung. Wenn ich zum Beispiel an die Familie Bach in Essling denke. Seit Jahren beliefern sie uns mit ihrem Gemüse“, weiß Reitbauer selbst zu berichten. Gastronomen als Türöffner, die mit Marktstandlern gemeinsame Sache machen, diese Kombination funktioniert immer besser, weiß der Drei-Sterne-Koch. „Frisches Gemüse und Obst aus unmittelbarer Nähe, das ist ein attraktives Szenario, das bis in die Touristik hineinragt. Das kann doch ein Alleinstellungsmerkmal für ein Land, für eine Region sein. Da, wo Leute gerne hinfahren, essen und auch bleiben“, so Reitbauer.

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Paul Ivics Gericht „Fisser Gerste mit Blaukraut, Bergamottenjus und flower sprouts“ ist das Ergebnis eines perfekten Zusammenspiels
aus Marktgärtnerei und Sterneküche.

Im Zusammenspiel ergeben sie einen jener wichtigen Schritte, die langfristig ans Ziel führen sollen, ist sich Palme sicher: „In der City Farm Augarten werden wir in der kommenden Saison etwa Gemüse für die Pizzeria Mari im zweiten Bezirk anbauen. Wir haben uns genau abgesprochen, was sie brauchen. Diesen Service kann ihnen ein Betrieb mit nur einer Kultur nicht bieten.“

Als vegetarischer Pionier ist freilich auch Paul Ivic auf den Zug aufgesprungen. Er steht mit Robert Brodnjak vom Krautwerk, einem erfahrenen SlowFood-Produzenten, in engem Austausch. Und er weiß: „Das, was von einer Marktgärtnerei kommt, schmeckt einfach ganz anders.“ Besonders stark würde man diese Unterschiede bei Topi­nampur erkennen. Für sein Geschmacksempfinden erfüllt jedenfalls Brodnjak auf seinem Hektar Land so gut es geht jeden Wunsch.

Und ist dann beispielsweise der perfekte Rosalind Brokkoli gefunden, macht Paul Ivic kein Geheimnis daraus, woher er diese feine Zutat hat. „Mit Exklusivität bringt man nichts weiter“, so der Sternekoch. Wer mit Wissen geizt, darf sich auch nicht erwarten, Neues von anderen zu erfahren. Wie etwa die Geschichte über die Fisser Gerste. In der Nähe seiner Heimat Serfaus hat der Tiroler mit kroatischen Wurzeln diese beinahe in Vergessenheit geratene Zutat neu entdeckt. Sie gedeiht auch auf knapp 1.000 Meter Seehöhe und war vor Jahrzehnten noch ein Arme-Leute-Getreide.

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Gerade an Topinampur wird klar, dass die jeweilige Herkunft seinen Geschmack erst wirklich besonders macht, ist Paul Ivic überzeugt.

Heute serviert er es als „Fisser Gerste mit Blaukraut, Bergamottenjus und flower sprouts“ in seinem Tian. Besonders spannend wird die Sache natürlich, wenn Gastronomen ihr Gemüse in der Stadt gleich selbst anbauen. Wie etwa auf dem Dach des Steirerecks in Wien. „Es ist ein Geschmacksgarten, den man vor der Nase hat“, sagt Heinz Reitbauer. Für die Inspiration und das Bewusstsein.

„Mit Exklusivität bringt man nichts weiter. Wer mit Wissen geizt, darf sich auch nicht erwarten, Neues von anderen zu erfahren.“
Paul Ivic ist davon überzeugt, dass man Wissen teilen muss, um es zu vermehren. Deshalb erzählt er etwa gern die Geschichte der Fisser Gerste

„Ein Koch, der schon einmal ein Karottenbeet angelegt und gepflegt hat, hat eine ganz andere Wertschätzung für das Produkt.“ Die Mengen, um Gäste zu versorgen, bekämen aber auch sie von naheliegenden Produzenten. Quasi von einer erweiterten Stadtgärtner-Gemeinschaft.

Wissenschaft als wichtige Basis

Um die Vision einer landwirtschaftlich autarken Stadt voranzutreiben, braucht es allerdings nicht bloß Selbstversuche, sondern vor allem auch wissenschaftliche Grundlagen. Dabei gilt einer europaweit als wahrer Vorreiter: Bauer Alfred Grand. Er hat den ersten Forschungsbauernhof Österreichs gegründet. Kürzlich wurde er als einer der „Top 50 Farmers“ Europas geehrt.

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Perfekte Symbiose aus Gastronomie und Gärtnerei: Im Steirereck wird vieles selbst so angebaut, wie man es in der Küche haben will.

„Gemeinsam mit unseren wissenschaftlichen Partnern erforschen wir Systeme der Landwirtschaft in Praxis und Wissenschaft auf ihre Zukunftsfähigkeit“, erzählt Grand. Die Marktgärtnerei ist dabei einer der großen Gewinner. „Sie erfüllt 12 von 17 von der UNO geforderten nachhaltigen Entwicklungsziele.“ Kurz gesagt: Marktgärtnerei fördert die Artenvielfalt der Pflanzen, denn ein Marktgärtner baut dutzende Kulturarten an, während andere Erwerbsgärtner oft nur mit einer Kultur arbeiten. Zudem speichert diese Art der Landwirtschaft eine Menge CO2 im Boden. Sie ist durch die nahezu ausbleibenden Behandlungen und den Verzicht auf Dünger gut für das Grundwasser und die Luft. „Dorthin kehren auch gerne wichtige Tierarten, vom Rebhuhn bis hin zum Schmetterling, zurück“, erzählt Alfred Grand.

Gerade arbeitet er am Launch seines neuesten Projekts: Der „Taskforce Marktgärtnerei“. Sie soll die Rahmenbedingungen für Marktgärtner und ­-innen verbessern. „Und dafür brauchen wir auch die Gastronomen“, so Grand.

Denn: „Nur sie können ihren Gästen glaubhaft erzählen, warum diese eine Karotte aus der Marktgärtnerei so cool ist.“ Oder besser gesagt: Ihnen glaubt man auch wirklich!

www.xn--marktgrtnerei-gfb.info

 

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