Warum Raps mehr kann als nur Öl

Die Rapspflanze hat eine unglaubliche Entwicklungsgeschichte hinter und wohl auch vor sich: Obwohl es sie seit Jahrhunderten gibt, ist sie erst seit wenigen Jahrzehnten auch essbar. Trotzdem wird nur Öl aus ihr gemacht. Das ändert sich jetzt.
Dezember 8, 2022 | Text: Lucas Palm | Fotos: Shutterstock, Julia Losbichler

Ginge es nach Mutter Natur, wir wären alle schon längst tot. Zumindest all jene unter uns, die regelmäßig Rapsöl zu sich nehmen. Und das sind in Deutschland und Österreich ganz schön viele. Immerhin ist Rapsöl mit Abstand das beliebteste Speiseöl der Deutschen und Österreicher – noch vor Sonnenblumen- und Olivenöl.

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Rapsblüten lassen sich vielfältig zubereiten. Zum ­Beispiel, indem man sie einen Monat lang einlegt – das ergibt ein speckiges Gewürzaroma am Gaumen.

Dass wir alle noch am Leben sind, ist einer Schar von kanadischen Wissenschaftlern zu verdanken, denen im Jahr 1974 etwas Bahnbrechendes gelang: Sie entwickelten die erste Rapszüchtung, die keine Erucasäure enthielt. Das war deswegen ein Durchbruch, weil besagte Säure beim Menschen massive Organschäden und Wachstumsverzögerungen verursacht. Aus geschmacklicher Per­spektive kam der zweite Durchbruch bald darauf – Ende der 1980er-Jahre. Da reduzierte eine noch ausgefeiltere Züchtung die bitter schmeckenden Glucosinolate auf ein Minimum.

Ginge es nach Mutter Natur, wir wären alle schon längst tot. Zumindest all jene unter uns, die regelmäßig Rapsöl zu sich nehmen. Und das sind in Deutschland und Österreich ganz schön viele. Immerhin ist Rapsöl mit Abstand das beliebteste Speiseöl der Deutschen und Österreicher – noch vor Sonnenblumen- und Olivenöl.

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Rapsblüten lassen sich vielfältig zubereiten. Zum ­Beispiel, indem man sie einen Monat lang einlegt – das ergibt ein speckiges Gewürzaroma am Gaumen.

Dass wir alle noch am Leben sind, ist einer Schar von kanadischen Wissenschaftlern zu verdanken, denen im Jahr 1974 etwas Bahnbrechendes gelang: Sie entwickelten die erste Rapszüchtung, die keine Erucasäure enthielt. Das war deswegen ein Durchbruch, weil besagte Säure beim Menschen massive Organschäden und Wachstumsverzögerungen verursacht. Aus geschmacklicher Per­spektive kam der zweite Durchbruch bald darauf – Ende der 1980er-Jahre. Da reduzierte eine noch ausgefeiltere Züchtung die bitter schmeckenden Glucosinolate auf ein Minimum.

Damit war Raps nicht nur verträglich, sondern schmeckte plötzlich auch. Doppelnull-Raps nannte man diese Super-Rapszüchtung, weil sie mit fast null Prozent Erucasäure und null Prozent Glucosinolate brillierte. Seither ist sie es, die auf den deutschen und österreichischen Rapsfeldern gedeiht. Im Vergleich zu den allermeisten anderen Speisepflanzen ist die Geschichte von Speiseraps also relativ jung. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum wird daraus eigentlich nur Öl gemacht?

Fruchtfolge statt Monokultur

Fragen, die sich Heiko Antoniewicz bereits seit mehreren Jahren stellt. Der mehrfach ausgezeichnete Koch gilt in Deutschlands Gastro-Branche als wichtigster Impulsgeber, wenn es um neue Lebensmittel und Kochtechniken geht. Seine Bücher über Brot, Sous-Vide-Garen oder Fermentation wurden international mehrfach ausgezeichnet, das Who’s who der Branche beruft sich auf ihn, wenn kulinarisch etwas Neues gewagt wird.

Ich habe im Moment zwanzig Grundrezepte alleine für den Raps
Heiko Antoniewicz weiß: Raps kann mehr als Öl

„Aber mit Raps ist es in Deutschland schwierig“, sagt er. Selbst für ihn. Warum? „Weil Menschen immer noch im Kopf haben: Das kenne ich nicht, das esse ich nicht. Das hat auch viel mit dem Zeitgeist zu tun. Viele Leute denken heute darüber nach, was sie nicht essen können. Dabei sollten sie sich viel öfter fragen: Was kann man sonst noch essen?“

Doppelnull mit der Lizenz zu schmecken

Und das ist Raps in unseren Breiten durchaus: Allein in Deutschland wird rund eine Million Hektar Raps angebaut. Zum Vergleich: Sonnenblumen wachsen auf gerade einmal 86.000 Hektar. Deutschland kann seinen Bedarf an Rapsöl immerhin zu knapp 50 Prozent selbst decken, Tendenz steigend. Und auch in Sachen Nachhaltigkeit ist der Doppelnull-Raps ein Glücksfall. Denn die Ölproduktion verursacht so gut wie keine Abfälle.

Bei der klassischen Rapsverarbeitung fallen etwa 40 Prozent Öl ab, während die übrigen 60 Prozent zu Schrot werden. Zum einen wird das Öl dank seines hohen Anteils an Vitamin E und ungesättigter Fettsäuren von uns Menschen verspeist. Zum anderen wird es aber auch von der Industrie verarbeitet. In Form von Cremes, Seifen oder Waschmittel beispielsweise, aber auch zur Herstellung von Biodiesel.

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Heiko Antoniewicz gilt als einer der wichtigsten Impulsgeber der deutschen Gastronomie. Seine Bücher über Brot, Sous-­Vide-Garen oder Fermentation wurden international mehrfach ausgezeichnet

Plus: Aus den Pressrückständen der Ölherstellung wird der sogenannte Rapskuchen gemacht. Dieses protein- und fettreiche Futtermittel eignet sich vor allem für Rinder, Schweine und Masthähnchen. Und das wiederum kommt am Ende auch den Fleischessenden unter uns zugute: Die hohe Konzentration an Omega-3-Fettsäuren, die im Rapskuchen enthalten ist, macht das Fleisch der damit gefütterten Tiere gesünder als es beispielsweise mit industriellem Soja-Futter der Fall wäre.

Die Nachhaltigkeit von Raps zeigt sich übrigens bereits im Anbau: Raps kann nur alle drei bis vier Jahre auf der selben Ackerfläche angebaut werden. Ansonsten hält die Pflanze dem Schädlingsbefall nicht stand. Das bedeutet, Raps ist auf die sogenannte Fruchtfolge angewiesen. Diese besagt, dass innerhalb einer bestimmten Zeitspanne auf ein und demselben Feld unterschiedliche Kulturpflanzen nacheinander angebaut werden.

Stangen kommen in eine vierprozentige Salzlake, Blüten in eine zweiprozentige.
Für Heiko Antoniewicz eignet sich Raps hervorragend zur Fermentation

Das fördert die Bodenfruchtbarkeit und vermindert den Krankheits-, Schädlings- und Unkrautdruck. Nicht umsonst gilt Monokultur als unökologischer Gegenentwurf zur Fruchtfolge: Weil Pflanzen in Monokulturen so anfällig für alle Arten von Krankheiten und Schädlingen sind, brauchen sie Herbizide und Pestizide – und sind damit weder für die Gesundheit des Menschen noch der von Mutter Erde zuträglich. Raps ist also gesund, nachhaltig und regional.

Reichen diese drei Eigenschaften nicht aus, um ein Lebensmittel massentauglich zu machen? „Eigentlich schon“, sagt Heiko Antoniewicz. Und trotzdem wird nur Öl daraus gemacht. Preisfrage: Muss das sein?

Raps wie bei Oma

Die kurze Antwort lautet: nein. Für die längere Antwort braucht es einen Blick über den Tellerrand. „Zum ersten Mal bin ich in Tunesien darauf gestoßen“, erinnert sich Antoniewicz. „Dort habe ich erfahren, dass Raps in vielen Ländern der afrikanischen Subsahara konsumiert wird. Meist in Form von Eintopf. Dabei wird der Raps über mehrere Stunden eingekocht.“ Nach besagter Tunesienreise begann Antoniewicz verstärkt Raps als ganze Pflanze in seinen Kochkursen zu verarbeiten.

„Da habe ich bemerkt, dass auch im Nahen Osten Raps eine kulinarische Tradition hat. Beim Schälen von Rapsstengeln meinten eine Iranerin und eine Marokkanerin: ‚Das schmeckt wie bei meiner Oma‘! Die wussten genau, so ein Stengel schmeckt wie Gurke. Menschen essen das dort schon seit Generationen!“

Moment mal: Bevor es also den alles verändernden Null-Nuller-Raps gab, aßen in Ländern wie dem Iran oder Marokko Menschen über Generationen hinweg erucasäurehaltigen Raps offenbar auch roh? Sind alte Rapsarten etwa gar nicht so schlimm, wie wir dachten?

Doch nicht so giftig wie gedacht?

„Außereuropäische Kulturen haben da vor allem in der Vergangenheit einen anderen Zugang gehabt“, sagt Antoniewicz. „Bis heute arbeiten sie etwa mehr mit Gewürzen. Einerseits ging es um den Geschmack, weil vor allem die alten Rapssorten bitter waren. Aber es ging auch immer um die Verträglichkeit.

Ähnlich wie wir Weißkraut mit Kümmel kombinieren, um Blähungen zu verhindern, hat auch jede andere Kultur ihr ureigenes Wissen um solche Wechselwirkungen.“ Der Konsum von erucahaltigem ­Ursprungsraps bestimmter Kulturen außerhalb Europas zeigt eines deutlich auf: Der Geschmack des Bitteren stieß dort in der Vergangenheit auf weit weniger Ablehnung als in Europa.  Dass die bittere Erucasäure organschädigend ist, das wusste bis vor ein paar Jahrzehnten zudem niemand. Sie schmeckte einfach nicht. Inwiefern der Konsum von rohem Ursprungsraps in Ländern wie dem Iran oder Marokko tatsächlich Menschenleben gekostet hat, lässt sich im Nachhinein nicht feststellen.

Auch nicht, welche Gewürze damals verwendet wurden, und ob diese die Erucasäure tatsächlich unschädlich machten. Fest steht: Rapstraditionen aus solchen Ländern sind heute von unschätzbarem Wert. Und gerade Avantgardisten wie Heiko Antoniewicz liefern sie hochproduktive Anhaltspunkte für neue Rapsrezepturen. „Ich bin momentan bei etwa zwanzig eigens kreierten Grundzubereitungsmöglichkeiten“, sagt er.

Sojasauce aus Raps? Ja, das geht!

„Prinzipiell kann man die gesamte Rapspflanze verarbeiten“, sagt Antoniewicz, der Raps mittlerweile als sein Lieblingsgemüse bezeichnet. Geschmacklich erinnert Raps an eine Mischung aus Erbsen und Kohlrabi. Wobei sich die Einzelteile je nach Zubereitungsart voneinander unterscheiden: „Die jungen Sprösslinge kann man wie Brokkoli oder Blumenkohl verwenden.

Und auch die Rapsbohnen bieten uns alle Möglichkeiten, die man von den üblichen Bohnen, die sonst so in unseren Breiten wachsen, kennt. Wenn wir jetzt die Sojabohne als Referenz hernehmen, bedeutet das: Auch aus Rapsbohnen kann man Sojasauce machen. Der Verarbeitungs- und Fermentationsvorgang bleibt derselbe.“ Apropos Fermentation: Antoniewicz wendet diese Technik in erster Linie bei den Rapsstangen und -blüten an.

„Für die Stangen eignet sich eine vierprozentige Salzlake, für die Blüten eine zweiprozentige. Die Blüten legen wir für vier Wochen ein. Heraus kommt etwas unglaublich Speckiges, das sich hervorragend zum Würzen eignet.“ Die Stangen und die Blätter eignen sich laut Antoniewicz auch gut zum Entsaften, „das ergibt einen super Sud“.

Die Stangen und Blätter sind aus einem weiteren Grund von großem ­Interesse für den Küchentüftler: Sie enthalten im Gegensatz zu den anderen Pflanzenteilen noch einige ungefährliche Bitterstoffe. „Das ist deswegen interessant, weil Köche immer mehr mit dieser Geschmacksrichtung spielen“, sagt er.

Und weiter: „Mit dem richtigen Equipment kann man Bitterstoffe – je nach gewünschtem Grad – herausfiltern. Man kann sie aber auch durch Einfrieren oder Gefriertrocknen abschwächen. Und wenn einem nichts mehr einfällt, tja, dann kann man immer noch ein wenig Zucker oder Ahornsirup dazugeben.“

Heiko Antoniewicz ist überzeugt: Dem Raps steht in unseren Breiten eine blühende Zukunft bevor. „Wir müssen uns nur trauen“, sagt er. „Und vor allem müssen wir anfangen, groß zu denken, um diese Kleinigkeit wie Raps wirklich zu verstehen.“

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