Bühne frei für die kulinarische Zukunft

Wenn Butter, Bier und Schweineschnauzen die Sterne vom Himmel holen, Rapsblüten als Speck durchgehen und Lammhirn mit Tempura harmoniert, kann das nur eines bedeuten: Auf den Chef.Days der Rolling Pin.Convention wird schon verkostet, was erst morgen auf den Tellern landet.
Juli 21, 2022 | Text: Lucas Palm | Fotos: Mandl Media, Andreas Kolarik

Schweineschnauze ist schon was Gutes. Ein Wunder eigentlich, dass sie hier in Österreich so selten gegessen wird. Zumindest denkt sich das jeder, der gerade Max Stiegls Version dieser bodenständigen Delikatesse verkostet. Und das sind viele – der Saal vor der imposanten Main Stage bei den Chef.Days auf der Rolling Pin.Convention in Graz ist knallvoll und jeder lauscht, was der Nose-to-Tail-Pionier in seiner unaufgeregten Art und Weise da gerade dem Publikum serviert: „Schweineschnauze ist für mich das exklusivste Gericht“, sagt der Spitzenkoch aus dem burgenländischen Gut Purbach also. Warum? „Weil es pro Schwein nur eine Schnauze gibt. Deswegen sollte sie ja auch das x-Fache von einem Schnitzel kosten, wenn man bedenkt, wie viele Schnitzel in einem Schwein stecken.“

Chef.Days
Frei Schnauze: Gaggan Anand, die mehrmalige Nummer eins der Asia‘s 50 Best Restaurants, sprach auf der Main Stage mit entwaffnender Ehrlichkeit über die verhängnisvolle Coronakrise, die ihn sein legendäres Restaurant in Bangkok kostete.

Schweineschnauze ist schon was Gutes. Ein Wunder eigentlich, dass sie hier in Österreich so selten gegessen wird. Zumindest denkt sich das jeder, der gerade Max Stiegls Version dieser bodenständigen Delikatesse verkostet. Und das sind viele – der Saal vor der imposanten Main Stage bei den Chef.Days auf der Rolling Pin.Convention in Graz ist knallvoll und jeder lauscht, was der Nose-to-Tail-Pionier in seiner unaufgeregten Art und Weise da gerade dem Publikum serviert: „Schweineschnauze ist für mich das exklusivste Gericht“, sagt der Spitzenkoch aus dem burgenländischen Gut Purbach also. Warum? „Weil es pro Schwein nur eine Schnauze gibt. Deswegen sollte sie ja auch das x-Fache von einem Schnitzel kosten, wenn man bedenkt, wie viele Schnitzel in einem Schwein stecken.“

Chef.Days
Frei Schnauze: Gaggan Anand, die mehrmalige Nummer eins der Asia‘s 50 Best Restaurants, sprach auf der Main Stage mit entwaffnender Ehrlichkeit über die verhängnisvolle Coronakrise, die ihn sein legendäres Restaurant in Bangkok kostete.

Was dieser Mann mit dem richtigen Riecher in Sachen Fleisch da sagt, regt wie so oft zum Nachdenken an. Immerhin liefern die klassischen Cuts aus der Oberschale, dem ausgelösten Rücken, der Unterschale, der Hüfte oder der Nuss mindestens 50 saftige Schnitzel pro Schwein. Umso relevanter ist daher Stiegls Rezept dieser Schweineschnauzen. „Bei so einem Gericht geht es auch um Respekt gegenüber dem Tier als ganzes Lebewesen“, so der Schweinegroßmeister, der in den vergangenen Jahren übrigens auch die alte, burgenländische Tradition des sogenannten Sautanzes wieder zum Leben erweckt hat. Ein Brauch, der zu Winterbeginn, wenn nichts mehr auf den Feldern wächst, das Schlachten des Schweins mit einem großen Dorffest zelebriert, bevor alles – und zwar wirklich alles – verarbeitet wird: Da wird zerlegt, eingesalzen, verwurstet, eingelegt und natürlich auch frisch zubereitet. Das Schwein als Vorratskammer für den Winter quasi.

Eigentlich sollte so eine Schnauze das x-Fache von einem Schnitzel kosten Ich verstehe nicht warum das nicht wertgeschätzt wird 
Max Stiegl über das für ihn exklusivste Gericht

Aber schauen wir uns diese Schnauzen jetzt einmal genauer an. Stiegl hat sie über Nacht im Ofen in viel Bier und Butter ziehen lassen. „Das weicht sie auf und macht sie angenehm bissfest.“ Den zweiten Teil erleben wir nun hautnah mit: Stiegl schmort acht Schweineschnauzen in einer großen Pfanne – in Schweineschmalz, versteht sich. „Schmeckt zwar ein bisschen bitter“, wundert sich der Gault&Millau-Koch des Jahres 2021 kurz, „aber mit noch ein bisschen Butter wird das schon.“ Und wie! Im kräftigen Sud ist dieses Schnäuzchen ein Gedicht, das feinstes Handwerk mit Authentizität verbindet. Logisch, dass einer wie Max Stiegl dem Trend um ausgefeilte Fleischersatzprodukte nicht sonderlich viel abgewinnen kann: „Wenn man aus Saitlingen Schnitzel herstellt, warum macht man nicht gleich gebackene Schwammerl?“

Echtes „Zuchtpotenzial“

Mindestens genauso unbekannt wie Stiegls Schnauzen ist Raps. Klar, Rapsöl kennen wir alle. Aber was man aus dieser gelben Pflanze sonst noch so alles machen kann, zeigt uns nur wenige Minuten nach Stiegls Fleischkunde Heiko Antoniewicz auf unglaublich beeindruckende Art und Weise. Und weil wir ihm genau zuhören, wundern wir uns bald gar nicht mehr, dass wir alle gar nicht so überm..ig viel über diese faszinierende Pflanze wissen: Es gibt sie noch gar nicht so lange. Zumindest in essbarer Form.

Erst seit 1974 wurde eine Raps-Züchtung entwickelt, die keine Erucasäure beinhaltet. Das war deswegen ein Durchbruch, weil besagte Säure für den Menschen gesundheitsschädlich ist und gar Herzmuskelprobleme oder auch Wachstumsverzögerungen verursachen kann. Unter geschmacklicher Perspektive kam der zweite Durchbruch Ende der 1980er-Jahre, als durch eine noch ausgefeiltere Züchtung die bitter schmeckenden Glucosinolate auf ein Minimum reduziert werden konnten. Seither entwickelt die Wissenschaft immer ertragreichere Hybridsorten. Und bescherte dieser Pflanze einen rasanten Erfolg.

Antoniewicz, der mit seinem unvergleichlichen Know-how auch jenseits der Grenzen Deutschlands als gefragter Berater tätig ist, outet sich hier nun ohne Umschweife als bedingungsloser Raps-Fan: „Es ist mein Lieblingsgemüse, diese Mischung aus Erbsen und Kohlrabi ist einfach unglaublich gut.“ Schaut man dem tüftelnden Großmeister etwas genauer über die Schulter, ist man schnell fasziniert von der Vielseitigkeit, die in dieser Pflanze steckt: Aus ihren Bohnen macht der Tüftler und Denker genauso Salat wie Sojasauce. Rapsstangen und Rapsblüten legt er ein und fermentiert sie.

„Für die Stangen eignet sich eine vierprozentige Salzlake“, erklärt der Küchennerd, „für die Blüten eine zweiprozentige. Die Blüten legen wir für vier Wochen ein. Heraus kommt etwas unglaublich Speckiges, das sich hervorragend zum Würzen eignet.“ Apropos Einlegen und Fermentieren: Über die Jahre hat sich Antoniewicz ein so untrügliches Gespür für genaueste Salzmengen erarbeitet, dass er in der Branche geradezu als Salzguru gilt. „Wenn Wasser kocht“, versichert er, „dann rieche ich, ob es gesalzen ist oder nicht“. Deutschlands berühmtester Küchentüftler weiß: „Um Gemüse zu blanchieren braucht es pro Liter Wasser 22 Gramm, für Pasta 15 Gramm.“ Sein neuestes Projekt: Hundewasser. Ja, das gibt es. Aber was genau das sein soll, wie Antoniewicz bei der Entwicklung eines solchen Produkts vorgeht und inwiefern es dafür überhaupt eine Nachfrage bei den Vierbeinern gibt, das kann und will der versierte Essforscher noch nicht beantworten – „noch geheim!“

Österreich trifft auf Japan

Währenddessen raucht und brutzelt es ein paar Hallen weiter drüben in der Küche der Chef Stage. Landhaus Bacher-Küchenmaestro Thomas Dorfer ist hier gerade in seinem Element: Französische Haute Cuisine in ihrer zeitgemäßen Pracht, gespickt mit österreichischen – und neuerdings auch japanischen – Einflüssen. Es ist erfrischend, dem mit 18.5 Gault&Millau-Punkten ausgezeichneten Spitzenkoch zuzuhören: Seine Handschrift lebt von tiefstem Respekt vor dem Produkt, doch dogmatische Herangehensweisen sind seine Sache nicht.

Trendwörter wie Regionalität, Nachhaltigkeit, Veganismus und so weiter sucht man in Dorfers Cooking Demonstration vergeblich. Und klar: Alle diese Trends sind ohne Zweifel richtig, wichtig und zukunftsträchtig. Aber da sie mittlerweile nur allzu oft zu leeren Worthülsen verkommen, wirkt Dorfers gänzlich ideologiebefreite Geschmacksobsession umso einzigartiger und spricht eine klare Sprache: vorwärtspreschende Klassik, die die jahrhundertelangen Grundlagen der Haute Cuisine mutig und präzise weiterentwickelt.

Mit Sellerie die Welt retten

Etwas weniger klassisch wird es während des aufwühlenden Vortrags von Paul Ivić. Das Aushängeschild des vegetarischen Fine Dinings hat keine Zweifel: Es muss alles anders werden. Besser. Nachhaltiger. Natürlicher. „Die Lebensmittel- und Agrarindustrie hat in den letzten Jahrzehnten einen Weg eingeschlagen, der weder für uns Menschen noch für unseren Planeten gut ist“, sagt der Küchenchef aus dem Wiener Tian-Restaurant, das seit 2014 mit einem Michelin-Stern und seit diesem Jahr auch mit einem grünen Stern ausgezeichnet ist.

„Diese Industrie schädigt das gesamte System“, mahnt Ivić – ehe er ausholt: „Das passiert durch den intensiven Einsatz von Medikamenten, Hormonen und Giften, sowohl in der Massentierhaltung als auch in der intensiven Landwirtschaft. Ganz zu schweigen von der Überfischung der Meere. Und als wäre das nicht genug, versuchen die vier größten Agrarkonzerne jedes einzelne Pflänzchen zu patentieren, damit es ihr Eigentum ist. Sie beerdigen damit die Biodiversität, die für uns alle so lebensnotwendig ist.“ Wie es stattdessen geht? Mit regionalen Lebensmitteln aus nachhaltiger Bewirtschaftung und einer ganzheitlichen Verarbeitung jedes Produkts. Paul Ivić zeigt das anhand eines Sellerie-Gangs, bei dem alles von der Knolle verwendet wird.

Der Sellerie wird zunächst gegart und dann ausgestochen, sodass in der Mitte ein kleines Loch entsteht. Während er in seinem eigenen Saft mit Wacholderbeeren weitergart, füllt ihn Ivić unter anderem mit Birnen, bevor das alles mit einer kräftigen Béchamel überglänzt wird. Dafür verwendet der Tian-Mastermind übrigens Buttermolke, die beim Buttermachen übrig bleibt. Das harmoniert himmlisch mit dem Schaum aus Selleriegrün und dem Jus aus den Sellerieschalen, die in vielen Küchen immer noch viel zu oft weggeworfen werden.

Frischer Wind in Florenz

Dass aber internationale Küche mit den Geschmäckern der Welt genauso authentisch und tugendhaft sein kann, zeigt uns Karime Lopez. Die Küchenchefin in Massimo Botturas Gucci Osteria in Florenz zelebriert dort ein kosmopolitisches Handwerk, das in seiner Stimmigkeit seinesgleichen  sucht. Warum? „Weil Florenz immer schon ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen war und bis heute ist“, so die gewiefte 38-Jährige. Als gebürtige Mexikanerin, die in den besten Restaurants der Welt gearbeitet hat, steht Lopez mit ihren stilsicheren, für viele fast schon verstörend bunten Tellern für kulinarische Weltoffenheit. Mexikanisch, italienisch, japanisch, französisch – Speisen wie ihr avantgardistisches Gericht „Pronto Luisa“ vereinen all diese Kulturen, die Lopez im Laufe ihres Lebens genau kennengelernt hat. Sieht man Lopez und ihrem Team beim Zubereiten dieses cremigen Edamame-Risotto mit umamireichem Erbsen-Miso zu, merkt man: Dieses scheinbar simple Gericht steckt voller handwerklicher Tücken.

Wenn wir die Rapsblüten so behandeln schmecken sie am Ende nach Speck 
Heiko Antoniewicz überrascht mit Raps-News

Kurze, genauestens aufeinander abgestimmte Garzeiten. Mengen, die ebenso penibelst auf einander abgestimmt sind. Ja, wir sehen es jetzt mit eigenen Augen: So ein Drahtseilakt unterschiedlicher Geschmacksuniversen kann eben auch gehörig schiefgehen. Doch die Herdvirtuosin weiß genau, was sie da tut. „Es gibt Gäste, die verstehen diese Art von Küche nicht“, sagt sie. „Sie kommen ins Restaurant und rechnen mit einer klassischen Parmigiana. Nur, das gibt’s bei mir nicht.“ Was wohl daran liegt, dass in Lopez’ Restaurant besagtes Gericht den Namen „A Parmigiana that Wants to Become a Ramen“ trägt. Wer aber Karime Lopez’ mutige Kreationen einmal verkostet hat, kann puristischen Traditionalisten, die sich über ihre Küche ärgern, nur eines sagen: „Pech gehabt, Spießer!“

Ein Star auf allen Linien

Als gar nicht spießig entpuppt sich schließlich der heimliche Höhepunkt auf der Main Stage – der internationale Superstar Gaggan Anand kapert mit seiner Aura regelrecht die Bühne. Schnell ist klar: Übers Kochen will er nicht reden. Stattdessen verschafft uns der coole Kerl jetzt einen Eindruck davon, welche langfristigen Auswirkungen die Pandemie auf selbstständige Gastronomen haben kann. „Der Todesstoß für mein Restaurant war die Delta-Variante“, erzählt die ehemalige Nummer eins der Asia’s 50 Best Restaurants-Liste.

„Ich stand vor der Wahl: Rette ich mein Restaurant oder mein Team?“ Anand entschied sich für sein Team. Allein, es fehlten ihm 25.000 Euro. „Also ging ich nach New York, um mit Beratungsaufträgen Geld zu machen.“ Mit dem Geld in der Tasche rettete der gebürtige Inder nicht nur seine Leute, sondern fällte auch einen Entschluss: kein Restaurant mehr zu führen, sondern nur noch einen Chef’s Table anzubieten. In Bangkok, Singapur, dem japanischen Fukuoka und, wer weiß, vielleicht bald auch in Europa. „Dort kann ich kochen, wie ich will“, sagt Anand. Mit einem Team, das wie eine Familie ist. Würdiger Schlusssatz: „Es ist dieser verdammten Pandemie zu verdanken, dass ich mir meinen Lebenstraum erfüllen konnte: In aller Freiheit kochen und dabei Spaß haben.“

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DIE ROLLING PIN.CONVENTION
Seit 2014 mischen die Chef.Days von Rolling Pin die Gastro-Eventbranche auf. Was als reiner Koch-Event begann, ist mittlerweile zu einem Mega-Happening mit unterschiedlichsten Bühnen geworden. Zwar kochen weiterhin auf der Main Stage und der Chef Stage die besten ihrer Zunft auf. Dieses Jahr waren das beispielsweise Eric Vildgaard, Gaggan Anand, Heinz Reitbauer oder Karime Lopez. Doch mit den Bar.Days und den Wine.Days ist die Rolling Pin.Convention seit vergangenem Jahr auch für engagierte Barkeeper, Sommeliersund Servicelöwen der Place to be.Zusätzlich finden dort auch die Verleihung der Jungen Wilden, der Rolling Pin Awards, der 100 Best Chefs, der 50 Best Sommeliers und der 50 Best Bars statt.

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MAIN STAGE & CHEF STAGE
Zwei Tage lang sind auf der Rolling Pin.Convention die Blicke auf zwei Bühnen gerichtet: Auf der Main Stage geben Spitzenköche genauso wie etablierte Gastronomen ihr wertvolles Wissen weiter – ob in Form von ausgeklügelten Cooking Demonstrations oder Tacheles Talks. Hier findet jeder Inspiration und Ideen, egal, welche Küche die seine ist oder in welchem Gastro-Unternehmen er oder sie auch tätig sind. Die Chef Stage wiederum gehört den Praktikern und Youngstern. Hier wird es verrückt und besonders kreativ. Hier sind die Köche zum Angreifen nahe, Inspiration passiert mit allen Sinnen. Kurz: Wer Abgefahrenes kennenlernen will, ist hier richtig!

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